Stellungnahme zum Entwurf der Förderrichtlinie Transferprojekt „Thüringer Qualitätskompass – sprachliche Bildung und inklusive Kindergartenentwicklung“

von Peter Kießling

Die LIGA Thüringen begrüßt das geplante Transferprojekt „Thüringer Qualitätskompass – sprachliche Bildung und inklusive Kindergartenentwicklung“ als wichtigen Schritt zur Weiterentwicklung der Qualität in Thüringer Kindertageseinrichtungen. Gleichzeitig sehen wir Risiken in der sehr engen Zeitplanung, in den unklaren Grundlagen der Sprachstandserhebungen und in der fehlenden Transparenz zum „Thüringer Qualitätskompass“.

So ist die Frist zur Stellungnahme mit einer Woche sehr kurzfristig was uns bei dem Vorliegen auch anderer Arbeitsaufgaben vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat. Ebenso ist der Zeitpunkt für eine Stellungnahme zum Entwurf zum 23.10.2025 sehr spät, um einer Umsetzung des geplanten Projektes ab dem 01.01.2026 gerecht zu werden. Sowohl die Träger der Projekteinrichtungen sowie der Fachberatungen benötigen eine langfristige Planungsmöglichkeit.

Aus Sicht der LIGA ist mit dieser engen Zeitplanung ein erhebliches finanzielles Risiko der Träger verbunden, das dazu führt, dass die Chancen dieses Projektes nicht voll ausgeschöpft werden.

Allgemeine Einschätzung

Grundsätzlich bildet der Entwurf der Förderrichtlinie aus unserer Sicht eine solide Grundlage, sich über das geplante Projekt einen Überblick zu verschaffen. Viele Parallelen zum bisherigen Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen – Professioneller Umgang mit Heterogenität in Kindertageseinrichtungen“ werden deutlich, sodass Träger der Fachberatung und der Kindertageseinrichtungen, die bereits Teil des Modellprojektes sind und waren, einen Wiedererkennungswert haben. Neue Träger von Kindertageseinrichtungen werden jedoch erheblichen Unterstützungsbedarf haben, das geplante Vorhaben im Detail nachzuvollziehen. Die angekündigte digitale Informationsveranstaltung zum Projekt sollte deshalb schnellstmöglich stattfinden. Ebenso halten wir eine intensive Begleitung durch die Servicestelle des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur für erforderlich. Dies betrifft insbesondere die Unterstützung bei den Maßnahme- und Finanzierungsplänen.

Sprachstandserhebungen

Die Gestaltung und Umsetzung der Einführung und Erprobung von verpflichtenden Sprachstandserhebungen im Rahmen des Projektes ist bislang inhaltlich und methodisch völlig unklar. Sowohl Umfang, Haltung, Inhalte und Methoden dazu gehen aus dem Entwurf der Förderrichtlinie nicht hervor. Die Träger der Kindertageseinrichtungen und der Fachberatung verpflichten sich mit dem Antrag zum Projekt zur Einführung und Erprobung der Sprachstandserhebungen, ohne zu wissen, auf welchen wissenschaftlichen oder rechtlichen Grundlagen diese Tests und die sich anschließenden (verpflichtenden) Förderangebote umgesetzt werden sollen. Dies ist kritisch zu betrachten, da derartige Sprachstandserhebungen und verpflichtende Förderangebote im wissenschaftlichen Kontext der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung sehr kritisch bewertet werden, was deren Wirkung und ggf. zusätzliche Belastungen von bereits benachteiligten Kindern und Familien betrifft.

Als Indikatoren werden z. B. die Anzahl von durchgeführten Sprachstanderhebungen benannt. Diese Anzahl wird jedoch nicht weiter spezifiziert. Folglich ist der Umfang der Anzahl nicht bekannt und damit auch nicht, ob die geforderte Anzahl der Tests mit dem in den Kindertageseinrichtungen vorliegenden Personalressourcen erreicht werden kann.

Ebenfalls ist aktuell nicht klar, in welchem zeitlichen Umfang die geplanten Sprachstandserhebungen und verpflichtenden Sprachförderangebote die bisherigen Umsetzungskonzepte der „Vielfalts-Kitas“ (z.B. Kita-Sozialarbeit) verdrängen und in ihrer Umsetzung einschränken. Es wäre hilfreich, die bisherigen Ziele wie „Kita-Sozialarbeit“ und Zusammenarbeit mit Familien auch in dieser Richtlinie als Ziele aufzunehmen.

Übersicht: Projektziele und Indikatoren

Es ist nicht ersichtlich, für welche Säulen diese Ziele und Indikatoren beschrieben sind. Aus Sicht der LIGA bedarf es einer Trennung der Indikatoren für die verschiedenen Säulen. Der Indikator „Anzahl der teilnehmenden Einrichtungen“ ist für die LIGA nicht nachvollziehbar. Bei dem Indikator der Vorlage von Testdokumentationen und Berichten muss der Datenschutz der betreffenden Kinder und Familien gewahrt bleiben.

Qualitätskompass

Die Teilnahme am Projekt setzt die Umsetzung des Thüringer Qualitätskompasses voraus, der bislang keinem der potenziell beteiligten Verbände und Träger bekannt ist. Es wird die Umsetzung eines Konzeptes vorausgesetzt, das derzeit weder abgeschlossen ist, noch in seinen Umfängen, Inhalten, Methoden und Haltungen bekannt ist. Daraus ergibt sich für die beteiligten Träger und Einrichtungen ein weiteres unbekanntes Risiko.

Die Gleichstellung der Umsetzung dieses Kompasses mit der des Thüringer Bildungsplans als Indikatoren für die Projektziele könnte für die Praxis der beteiligten Kindertageseinrichtungen zu Irritationen führen. Der Thüringer Bildungsplan ist in einem breiten Beteiligungsprozess entstanden und später fortgeschrieben worden. Die Beteiligung von einer kleinen Gruppe von Praxisvertretern am Kompass lässt befürchten, dass dieses Material in der Praxis nicht getragen wird und darüber hinaus auch der Thüringer Bildungsplan an Bedeutung verliert. Aus Sicht der LIGA braucht es dringend eine mediale Aufklärung, was der „Thüringer Qualitätskompass“ beinhaltet und bewirken will, in welchem Zusammenhang er mit den Thüringer Bildungsplan steht und welche Chancen er für die Weiterentwicklung der Thüringer Kindertageseinrichtungen beinhaltet.

Zuwendungsvoraussetzungen

  • Säule 1: Es werden sozialraumbezogene, lebenslagenspezifische und kindbezogene Herausforderungen benannt, die in mindestens zwei Bereichen bei den Kindertageseinrichtungen vorliegen sollen. Nicht benannt wird, auf welcher Grundlage diese Herausforderungen erfasst und dargestellt werden sollen und wie mit entsprechenden quantitativen Verteilungsunterschieden unter den antragstellenden Einrichtungen umgegangen werden soll.
  • Säule 2: Die Fachberatung kann nur durch Träger umgesetzt werden, die bereits zum Stichtag 31.12.2025 Fachberatung im Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ gewesen sind. Dies schließt die Teilnahme von bislang nicht berücksichtigen Fachberatungsträgern aus. Damit werden Träger, die bei der Vergabe des Projekts „Vielfalt vor Ort begegnen“ durch ein Losverfahren nicht berücksichtigt worden sind, weiterhin ausgeschlossen. Die Vielfalt der Thüringer Kindertageseinrichtungen wird damit nicht abgebildet, denn von sechs Spitzenverbänden sind lediglich drei im Projekt vertreten. Außerdem wird ein mögliches Potenzial nicht genutzt: Fachberatungsträger, die bereits im Bundes- oder Landesprogramm „Sprach-Kitas“ wertvolle Erfahrungen und Kompetenzen zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung gesammelt haben, können dieses Wissen in das neue Projekt nicht einfließen lassen.

Art, Umfang und Höhe der Zuwendung

  • Säule 1: Die Höhe der Zuwendung für die Kindertageseinrichtungen hat sich mit 58.100,00 EUR im Vergleich zum Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ nicht verändert. Damit sind tarifliche und erfahrungsbezogene Personalkostensteigerungen nicht berücksichtigt worden. Für die Kindertageseinrichtungen bedeutet dies, dass es entweder zu personellen Veränderungen in den Steuerungsteams kommen wird oder Personalstunden abgebaut werden müssen, wenn die entstehenden Kosten nicht mehr gedeckt sind. Bei einer ebenso geplanten Erweiterung der Aufgabenbereiche (Sprache und Inklusion) wäre eine entsprechende Erweiterung der zur Verfügung stehenden personellen Kontingente ebenso erforderlich.
  • Säule 2: Die Höhe der Zuwendung in der Fachberatung ist um ca. 5 % im Vergleich zum Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen““ erhöht worden. Dies ist zu begrüßen, entspricht jedoch nicht den tariflichen Entwicklungen seit Beginn des Projektes „Vielfalt vor Ort begegnen“ im Jahr 2021.
  • Säule 3: Die Höhe der Förderung der Hochschule mit 900.000,00 EUR pro Jahr wird als unverhältnismäßig hoch im Verhältnis zu den Säulen 1 und 2 eingeschätzt.
  • Säule 4: Hat sich im Vergleich zum Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ nicht geändert. Sie bildete im bisherigen Projekt eine solide Grundlage und wird dies nach unserer Einschätzung auch zukünftig leisten können. Es sollte die Möglichkeit bestehen, dass Einrichtungen, die bereits über eine solide Ausstattung aus den vorhergehenden Projekten verfügen, Gelder aus der der Säule 4 für Personalausstattung in Säule 1 umnutzen können.

Organisation

Peer-to-Peer-Prinzip: Es ist unklar, in welchem Umfang das beschriebene Peer-to-Peer-Prinzip umgesetzt werden soll und welche zeitlichen Ressourcen dafür notwendig sein werden. Sowohl ehemalige „Vielfalts-Kitas“ als auch ehemalige „Sprach-Kitas“ haben dieses Prinzip umzusetzen. Kritisch wird hierbei angemerkt, dass die Einrichtungen im Vergleich zum bisherigen Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ weitere in ihren Umfängen bislang unbekannte Aufgaben umzusetzen haben und nun auch noch unerfahrene Einrichtungen zwingend zu begleiten haben, ohne dafür mehr Zeit- und Personalressourcen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Ebenso wird eine Zuordnung der Zuständigkeit der Einrichtungen von der Bewilligungsbehörde vorgenommen. Dabei sollte nach unserer Einschätzung zwingend die zuständige Fachberatung einbezogen werden, da diese aufgrund der Erfahrungen und Einblicke in die inhaltlichen Bezüge eine wichtige Vermittlungsfunktion einnehmen kann.

Einrichtungsverbünde

  • Einrichtungsverbünde sollen maximal 25 Kindertageseinrichtungen umfassen. Nach unserer Einschätzung ist diese Anzahl zu hoch. Zu organisierende Treffen mit den Verbünden haben folglich ca. 25 - 50 Teilnehmende, was die Organisation, Raumfindung sowie inhaltliche und methodische Ausgestaltung für die Fachberatungen im Vergleich zu bislang bis ca. 20 Teilnehmenden erheblich erschwert.
  • Die Zusammensetzung der Einrichtungsverbünde ist zum Zeitpunkt der Antragstellung für die zuständige Fachberatung nicht abschätzbar. Ein Verbund kann sowohl aus 10 oder auch aus 25 Kindertageseinrichtungen bestehen. Die Personalplanung und die Erstellung des Finanzplanes sind dabei grundsätzlich nur schwer möglich. Soll sich die Personal- und Finanzplanung folglich auf die bisherige Größe des Verbundes beziehen oder auf die maximale Verbundgröße oder etwas anderes?
  • Nach dem Antragsverfahren wird eine durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur erforderliche Anpassung umzusetzen sein, welche die Finanzierungs- und Personalplanung für den Fachberatungsträger nach der Antragstellung erneut erforderlich machen wird. Wie wird dies im Antragsverfahren berücksichtigt?

Fachberatung

  • Wir begrüßen sehr, dass die prozessbegleitende Fachberatung, die alle acht Wochen je Kindertageseinrichtung stattfinden soll, nun auch neben Besuchen vor Ort in der Kindertageseinrichtung digital und telefonisch stattfinden kann.
  • Es wäre zu begrüßen, wenn diese Beratungen einem Solidarprinzip unterliegen würden: Bestehende Kindertageseinrichtungen im Projekt brauchen evtl. weniger Beratung als Kindertageseinrichtungen, die neu dazu kommen.
  • Bereits im bestehenden Projekt hat die Fachberatung nicht nur den verbundsinternen Austausch koordiniert, sondern auch verbundübergreifend gearbeitet, was als sehr gewinnbringend eingeschätzt wurde. Deshalb wäre es wünschenswert, auch diese Form als förderfähig in der Richtlinie aufzunehmen (S. 14 zweiter Anstrich).

Antragsverfahren

  • Säule 1: Kindertageseinrichtungen, die bereits im Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ gewesen sind, müssen keine standortspezifischen Herausforderungen darstellen. Dies könnte zu einer Benachteiligung von potenziell neuen Kindertageseinrichtungen führen, die über erheblich größere Herausforderungen in ihren Kindertageseinrichtungen verfügen als bereits beteiligte Kindertageseinrichtungen.
  • Säule 2: Wie oben schon beschrieben, ist es für die Träger von Fachberatungen nur schwer möglich, einen validen Finanzierungsplan einzureichen, da die Anzahl der „Verbund-Kitas“ zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht bekannt ist und damit eine Festlegung auf die Höhe der Personalkosten nicht möglich ist. Wie ist der Nachweis der Eignung der Fachberatung zu erbringen?

Bewilligungsverfahren

Die LIGA begrüßt, dass die Einrichtungen im aktuellen Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ bei der Antragstellung eine vorrangige Berücksichtigung erfahren, um die bestehende Arbeit fortzusetzen. Es ist aber völlig unklar, nach welchen Kriterien evtl. freie Plätze mit Kindertageseinrichtungen aus dem ehemaligen „Sprach-Kita-Projekt“ aufgefüllt werden sollen.

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