Forderungen und Erwartungen der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen an die Landespolitik in der 8. Wahlperiode
von Peter Kießling
Die LIGA kann in ihren Verhandlungen und Gesprächen mit Politik, Verwaltung sowie in gesellschaftlichen Diskussionen auf einen wertvollen Schatz an Wissen und Erfahrung zurückgreifen. Seit über 30 Jahren teilen wir dieses Wissen und unterstützen die fachpolitische Arbeit im Thüringer Landtag und den Ministerien.
Soziale Arbeit ist kein statisches Konzept; sie befindet sich vielmehr in einem ständigen Wandel. Besonders in Zeiten der „Multikrisen“ gestalten wir diesen Wandel gemeinsam mit den Parlamenten, der Landesregierung, den Selbstverwaltungsorganen, gesellschaftlichen Akteur*innen sowie den Leistungserbringern und Leistungsberechtigten. Die LIGA Thüringen präsentiert sich dabei als verlässliche Partnerin mit einem klaren Fokus auf ein soziales Thüringen.
Vor diesem Hintergrund beobachten wir die politischen Entwicklungen in Thüringen sehr genau. Die Spitzenverbände haben klare Forderungen und Erwartungen an die Landespolitik für die 8. Wahlperiode formuliert, die thematisch den sieben Arbeitsgruppen in den Koalitionsverhandlungen zugeordnet sind. Wir erwarten, dass unsere fachlichen Einschätzungen und Positionierungen Teil der Verhandlungen werden – ganz nach unserem Motto: „Thüringen muss sozial bleiben.“
1. Arbeits- und Fachkräfte
Die spezifischen Herausforderungen der Fachkräftesicherung im Gesundheits- und Sozialbereich sind im Rahmen der neuen Allianz für Berufsbildung und Fachkräfteentwicklung zu berücksichtigen.
Zuständigkeiten und Maßnahmen der freien Wirtschaft und der Sozialwirtschaft müssen konsequent gemeinsam betrachtet werden. Die Sozialwirtschaft erhält die Arbeitsfähigkeit der Wirtschaft und kann sie steigern. Das bedeutet, dass Vorhaben und Maßnahmen der Allianz konsequent mit den Möglichkeiten und der Einschätzung der Sozialwirtschaft abgeglichen werden müssen, um die Auswirkung auf diese und die Arbeitsfähigkeit der Gesamtwirtschaft erhaltendes System zu erfassen und zu berücksichtigen. Ziel muss es sein, eine thüringenweite Beschäftigungsstrategie für den sozialen Sektor aufzustellen und diese mit den Einflussmöglichkeiten des Landes auf Bundesebene zu koppeln.
Wir erwarten, dass die freigemeinnützige Sozialwirtschaft im Rahmen der Allianz für Berufsbildung und Fachkräfteentwicklung die Möglichkeit erhält eine entsprechende neue Arbeitsstruktur mit den Ministerien, Verwaltungen und anderen Akteuren (z.B. BA etc.) aufzustellen, die eine Beschäftigungsstrategie und entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringt und miteinander koordinieren lässt.
2. Freie Schulen
Gleichstellung Freier Schulen mit staatlichen Schulen im Hinblick auf:
- Finanzierung
- Erleichterung der Gründung von Freien Schulen (nachträgliche Refinanzierung der Wartefrist von 3 Jahren nach Anerkennung als Freier Schulträger)
- Freie Schulträger als Teil der Schulnetzplanung
- Engere Kooperation und Vernetzung mit dem staatlichen Schulsystem
- Fachkräftegewinnung
Finanzierung
- Auskömmliche Höhe
- Verwendungsnachweis (Abschaffung und dafür Einführung einer pauschalierten Förderung)
- Automatische Berücksichtigung von Sonderzahlungen, die im staatlichen Schulsystem geleistet werden
Fachkräftegewinnung
- gleichberechtigte Zugänge zu potentiellen Mitarbeiter*innen
- Zugang Freier Schulträger zu berufsqualifizierenden Weiterbildungen und Nachqualifizierungen von Quereinsteiger*innen des Landes (z. B. Verwaltungsvorschrift über die Weiterbildung von in den staatlichen Schuldienst eingestellten seiteneinsteigenden Lehrkräften mit Fachhochschulabschluss sowie über die Fortbildung der gemäß Auffangtatbestand in den staatlichen Schuldienst eingestellten seiteneinsteigenden Lehrkräften vom 07.08.2024)
- Anerkennung von berufsqualifizierenden Weiterbildungen und Nachqualifizierungen von Quereinsteiger*innen Freier Schulträger
- Abschaffung bürokratischer Hürden seitens des Landes bei der Einstellung und Anerkennung von Berufseinsteiger*innen
- Beschleunigung von Anerkennungsverfahren ausländischer Fachkräfte und Quereinsteiger*innen
Gesetzliche Verankerung von multiprofessionellen Teams
Weiterentwicklung des Bildungs- und Erfahrungsortes Schule
- Inklusive Bildung ermöglichen
- Etablierung des Nachhaltigkeitsgedanken im Thüringer Bildungssystem
Schulgeldfreiheit für alle berufsbildenden Schulen
3. Demografie und Personal
Die Arbeitsagenturen sehen Thüringen vor einem gewaltigen Verlust an Erwerbstätigen. Bis 2040 gehen rund 200.000 Beschäftigte in Rente. Das ist nach Angaben der Landesarbeitsagentur etwa jede vierte erwerbstätige Person. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs. Auf zwei altersbedingte Aussteiger*innen aus dem Arbeitsmarkt kommt nur eine Einsteiger*in. Damit ist Thüringen zusammen mit Sachsen-Anhalt bundesweit am stärksten vom demografischen Wandel betroffen. Demografische Schrumpfungs- und Alterungsprozesse stellen die Absicherung einer leistungsfähigen Daseinsvorsorge in den Kreisen mehrheitlich vor große Herausforderungen.
- 2019 waren 6,4 % der Bevölkerung pflegebedürftig – dieser Wert wird bis 2040 um weitere 23,0 % auf 9,0 % der Bevölkerung steigen.
- Pflegebedürftige und die Pflegequoten nehmen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten zu. Dem entgegen steht die Abwanderung junger und berufstätiger Menschen.
- Die Zunahme der Zahl der Pflegebedürftigen wird in Zukunft sowohl zusätzliches Personal und Pflegeeinrichtungen als auch steigende Pflegegeldleistungen erfordern.
- Das sinkende Bevölkerungspotenzial und die ungünstige Finanzausstattung der öffentlichen und privaten Haushalte – die sich kaum bessern wird – erschweren die notwendigen Entwicklungs- und Anpassungsprozesse.
- Auf dem Thüringer Arbeitsmarkt wird bis zum Jahr 2035 quasi Vollbeschäftigung herrschen.
- „Es zeigte sich, dass die zu erwartenden Arbeitskräftedefizite durch Ausschöpfung noch vorhandener Potenziale wohl kaum behoben werden können.“
Bereits jetzt können Leistungserbringer Fachkraftschlüsseln und anderen Personalvorgaben kaum gerecht werden. Auch die Individualisierung in der Eingliederungshilfe und die qualitative hochwertige Versorgung im ländlichen Raum bei sinkenden Bevölkerungszahlen führen zu steigendem Personalbedarf. Menschen werden aufgrund von Bildung und medizinischer Versorgung älter, damit nimmt auch die Anzahl und die Dauer der Unterstützungsleistungen zu. Wenn Menschen zukünftig gezwungen sind, länger zu arbeiten, sind ebenfalls Angebote erforderlich, um Arbeitsfähigkeit durch Gesundheitsprävention aber auch Betreuungsangebote für deren Angehörige zu erhalten. Es ist das gemeinsame Vorgehen aller Stakeholder in Thüringen notwendig, um den Personalmangel zu dämpfen und so die Arbeitsfähigkeit der Thüringer Gesellschaft zu erhalten.
Der immense Bedarf an Beschäftigten in den kommenden Jahren ist nicht ohne Zuwanderung zu decken. "Wenn wir in der Vergangenheit von hunderten ausländischen Arbeitskräften geredet haben, müssen wir in den nächsten Jahren von tausenden ausländischen Fachkräften reden […]" (Steffen Maretzke; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im BBR Bonn). „Im Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte hat der soziale Sektor im Vergleich zu anderen Branchen strukturelle Nachteile.“
Es braucht eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse und die Förderung der Anwerbung von Auszubildenden aus Drittstaaten (nicht EU-Ausland), die Standardisierung und Systematisierung der Arbeitsweise der Ausländer*innen-Behörden können einen wesentlichen Beitrag leisten.
Darüber hinaus ist die kostenfreie schulische und akademische Ausbildung sozialer Berufe zu stärken sowie die Nutzbarkeit der Praxisintegrierten Ausbildung in allen Bereichen der Sozialwirtschaft sicher zu stellen.
Die Anerkennung der Dynamisierung von Personalkosten zur Anwendung von Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien in Entgeltverhandlungen muss selbstverständlich sein.
Durch die zunehmende Digitalisierung der Prozesse kann ein Arbeitskräftemangel teilweise kompensiert werden. Deshalb ist eine angemessene Anerkennung der Kosten der notwendigen Digitalisierung (und Cybersicherheit) im sozialen Bereich notwendig, um Arbeit effizienter zu gestalten, bürokratische Prozesse zu vereinfachen, Kommunikation mit den Klient*innen zielgruppengerecht ausbauen und zielgruppenspezifische Assistenzsysteme einsetzen zu können.
4. Inklusion
Wir vertreten einen weitgefassten Inklusionsbegriff. In Thüringen darf niemand an der Teilhabe an der Gesellschaft durch unterschiedlichste Barrieren gehindert werden. Dazu gehört der Abbau jeglicher Barrieren aber auch die diskriminierungsfreie, barrierefreie und selbstbestimmte Teilhabe und Selbstverwirklichung aller Menschen in Thüringen. Dazu gehören natürlich Menschen mit Behinderung, aber auch weitere Gruppen wie queere Menschen, von Armut bedrohte Menschen, Menschen mit Migrationserfahrung und nicht traditionelle Familienkonstellationen.
5. Beispiele für fehlende oder gefährdete Unterstützungsangebote in der sozialen Infrastruktur auch aufgrund fragiler Finanzierung
Durch die gestiegenen Eigenanteile der Pflegeeinrichtungen sind immer mehr Pflegebedürftige auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Die steigende Anzahl und weitere Gründe führen zu einem großen Bearbeitungsrückstau der Sozialhilfeanträge. Die Folge sind weiter steigende offene Forderungen in den Pflegeeinrichtungen. Diese gehen in Vorleistung und es droht eine existenzbedrohende finanzielle Schieflage.
Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen kontinuierlich. Gemäß § 9 SGB XI sind die Länder verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur. Die Übernahme der Investitionskosten durch das Land würde zu einer spürbaren Entlastung beitragen.
Beratungsangebote wie die Schwangerschaftskonfliktberatung sind zentral, um Müttern in einer herausfordernden Situation Halt und Unterstützung zu bieten. Die Refinanzierung dieser wertvollen Angebote muss gesetzlich abgesichert werden.
Die Zahl der psychisch erkrankten Kinder und Jugendlichen steigt (s. Psychische Erkrankungen wurden 2020 bei 18 % der Krankenhausbehandlungen von 15- bis 24-Jährigen diagnostiziert - Statistisches Bundesamt (destatis.de). Das Hilfesystem wird insbesondere im ländlichen Raum nicht entsprechend ausgebaut.
Den Kindern psychisch kranker oder suchtkranker Eltern gilt besondere Fürsorge, führen diese innerfamiliären Belastungen gehäuft zu psychosozialen Störungen bei den Kindern. In Thüringen wurde es bisher versäumt, entsprechende Hilfen flächendeckend und ausfinanziert zu installieren.
Nicht erst seit Corona zeigt sich eine stetige Zunahme an psychischen Erkrankungen und seelischen Notlagen. Dadurch geraten Menschen oft akut in existenzielle Krisen, in denen sie sehr schnell psychosoziale Hilfe und Unterstützung benötigen. Dies können psychiatrischen Praxen und Kliniken nicht leisten. Um Menschen mit psychischer Erkrankung in Krisen nicht ohne Hilfe zu lassen, braucht es in Thüringen dringend einen psychiatrischen Krisendienst, wie er in einigen Bundesländern schon vorhanden ist.
Es ist eine erreichbare, fachlich niederschwellige psychiatrische und psychosoziale Krisenhilfe für ganz Thüringen sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang erwarten wir, dass die überfällige Novellierung des PsychKG schnellstmöglich umgesetzt sowie die Daseinsvorsorge insbesondere am Beispiel der Suchtberatungsstellen gesichert wird.
Die hohe Inflation der vergangenen Jahre und die gestiegenen Kosten für existenzielle Ausgaben wie Wohnraum, Lebensmittel und Energie hat die finanziellen Spielräume insbesondere für Haushalte mit niedrigen Einkommen reduziert und das Überschuldungsrisiko erhöht. Vor allem ältere Menschen drängen verstärkt in die Beratungsstellen, aber auch Menschen mit Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenzen nehmen die Unterstützung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung häufiger in Anspruch. Ratsuchende müssen immer länger auf einen Beratungstermin warten. Die Auslastung und die Arbeitsbelastung der Beratungsfachkräfte sind dementsprechend hoch. Ratsuchende in finanzieller Not brauchen ein beständiges, qualitätsgesichertes und zeitnah verfügbares Beratungsangebot. Die Träger benötigen hierfür eine verlässliche und auskömmliche Kostenzusage für die Aufrechterhaltung des Beratungsangebots sowie der dazugehörigen Netzwerkarbeit und Prävention.
6. Gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen in Thüringen
In der Umsetzung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen kommt es in Thüringen aufgrund der sachlichen Zuständigkeit der örtlichen Träger der Eingliederungshilfe zu großen Unterschieden zwischen den 22 Landkreisen und kreisfreien Städten. Somit hängt die Realisierung der Ansprüche auf Eingliederungshilfe stark vom Wohnort der Menschen mit Behinderung ab. Zudem erschwert diese Zuständigkeitsregelung, eine übergreifende Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe in Thüringen, weil kaum eine gemeinsame Linie unter den Leistungsträgern gefunden wird. Wichtige Entwicklungsschritte für eine noch personenzentriertere Angebotsstruktur in Thüringen werden dadurch in einen sehr langwierigen Prozess gezwungen, an dessen Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit ein unscharfes, nach allen Seiten auslegbares Modell stehen wird. Damit droht sich der schon vorhandene „Flickenteppich“ zu verfestigen.
Die kontinuierliche Umsetzung der Reformen zur Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) und von Inklusion in Thüringen erfordern die flächendeckende Einführung der Personenzentrierten Komplexleistung (PKL), die Festlegung aller notwendigen Rahmenbedingungen und die Evaluation der Leistung PKL nach der flächendeckenden Einführung. Leistungserbringer, die bisher stationäre Angebote ambulantisieren wollen, ggf. entsprechend barrierefreien Wohnraum schaffen wollen, sollten Zugang zu Fördermitteln des sozialen Wohnungsbaus o.ä. haben.
7. Barrierefreiheit
Barrierefreiheit ist – nicht nur - für Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen zentrale Voraussetzung für ein möglichst selbstbestimmtes Leben und gleichberechtigte Teilhabe. Auch ältere Menschen, Familien, Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten und Migrant*innen profitieren davon. Dazu gehört der umfängliche und flächendeckenden Ausbau barrierefreier bzw. -armer Mobilität vor Ort und Anreize zum Abbau unterschiedlicher Barrieren in Mobilität und ÖPNV. Die Barrierefreiheit bei der Nutzung elektronischer Geräte muss vorangetrieben werden und Maßnahmen für barrierefreiere Verwaltungen und deren Dienstleistungen.
8. Jugendarbeit / Jugendsozialarbeit
Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken
- Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf eine gesunde Entwicklung, auf Bildung, Partizipation und Teilhabe – auch im Sinne eines umfassenden Inklusionsgedankens.
Kinder brauchen Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Mitbestimmung und Teilhabe
- Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei den Thüringer Kommunal- und Landtagswahlen
Kinder und Jugendliche brauchen frei verfügbare Zeit und Räume
- Sicherung und flächendeckender Ausbau von Jugendarbeit (Jugendtreffs, Jugendclubs und -zentren und weiteren offenen Angeboten der Jugendarbeit) in der Stadt und im ländlichen Raum.
- Entwicklung einer landesweiten Strategie zur Fachkräftegewinnung und -sicherung in der Jugendarbeit unter Einbeziehung der Freien Wohlfahrtspflege und Wissenschaft
- regelmäßige Überprüfung und bedarfsgerechte Anpassung der Landesförderung „Richtlinie zur örtlichen Jugendförderung“. Hierbei muss der vorhandene Personalbedarf, steigende Kosten für tarifgerechte Entlohnung und für ansteigende Sachkosten Berücksichtigung finden.
Kinder und Jugendliche brauchen einen nachhaltigen, jugendgerechten Zugang zu Mobilität
- kostenloser ÖPNV für alle jungen Menschen in Schule, Ausbildung, Studium und Freiwilligendienst.
- Vorantreiben von flächendeckenden, nachhaltigen Mobilitätskonzepten
- Ausbau des ÖPNV im ländlichen Raum
Digitalisierung
- Zugang zum digitalen Raum für alle Kinder und Jugendlichen sozial gerecht gestalten
- Entwicklung und Ausbau von stetigen und leicht zugänglichen Förderinstrumenten des Landes, die eine Verbesserung der digitalen bzw. technischen Infrastruktur der Kinder- und Jugendarbeit zum Ziel haben.
- Ausbau fachlicher und finanzieller Unterstützung bei Erstellung medienpädagogischer Konzepte für Einrichtungen der Jugend(verbands-)arbeit
Inklusive Jugend(sozial)arbeit
- Entwicklung und Ausbau vorbereitender Strukturen und Maßnahmen zur Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG)
- barrierefreie bzw. -arme Sanierung und Ausgestaltung (auch digital) von Orten der Jugendarbeit sowie für zusätzliche personelle Ressourcen für die Begleitung von jungen Menschen mit Behinderungen
Queere Jugendarbeit
- Sicherung und Ausbau Flächendeckender Beratungsangebote, Anlaufstellen und niedrigschwellige Informationsangebote für queere Jugendliche
- Schaffung von Strukturen im ländlichen Raum, queeren Jugendlichen als Begegnungs-, Schutz- und Gestaltungsraum zur Verfügung stehen.
- Auskömmliche Finanzierung zum Ausbau queersensibler Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit
- Nachhaltige Sicherung bestehender queersensibler Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit, wie z. B. Queerweg e. V.
Kinder- und Jugendschutz
- Sicherung der Kinder- und Jugendschutzdienste in Thüringen
- Bedarfsgerechte Umsetzung der „Leitlinien für die Jugendhilfe im Freistaat Thüringen für einen effizienten und effektiven Schutz von jungen Menschen“ (Landesjugendhilfeausschuss) durch eine personelle Untersetzung der Fachkräfte für Kinder- und Jugendschutz in den örtlichen Jugendämtern von mind. 1,0 VbE
- thüringenweiter Ausbau von Ombudsstellen
- Sicherung der bereits bestehenden Ombudsstelle des Deutschen Kinder- und Jugendschutzbundes durch eine Landesförderung
Schulsozialarbeit
- flächendeckender Ausbau der Schulsozialarbeit, sodass an jeder Schule in Thüringen 1 VbE für Schulsozialarbeit zur Verfügung steht
- kontinuierliche Prüfung und bedarfsgerechte Anpassung der finanziellen Ausstattung der Richtlinie Schulsozialarbeit
9. Stärkung der Gleichstellungspolitik und konsequente Umsetzungsstrategien
Die LIGA fordert wieder einen eigenständigen Gleichstellungsausschuss und eine Landesgleichstellungsbeauftragte. Diese ist als Stabsstelle direkt bei der / bei dem Ministerpräsident*in zu verorten.
Die Begleitung und das Vorantreiben der Umsetzung der Istanbul-Konvention in all ihren Facetten ist auf Landesebene sicherzustellen. Dabei ist auch ein inklusiver Gewaltschutz zu entwickeln. Die Rolle des Beirats Gewaltschutz bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Thüringen ist zu stärken.
Für die Umsetzung des Chancengleichheitsfördergesetz braucht es eine stabile Finanzierungsgrundlage. Eine gesetzliche Mindestfördersumme von 12. Mio. Euro pro Jahr muss im Chancengleichheitsfördergesetz verankert werden, um die Aufgaben der Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen sicherzustellen.
10. Sexuelle und reproduktive Rechte
Ein sicherer und wohnortnaher Zugang zu Schwangerschafts-(konflikt)beratungsstellen ist genau wie die ärztliche Versorgung eines Schwangerschaftsabbruchs und eine ärztliche, medizinische Geburtsversorgung sicherzustellen. Es bedarf einer parteiunabhängigen Präventionsarbeit. Bedarfsorientierte Unterstützungsangebote zur sexuellen und geschlechtlichen Identität sind zu etablieren.
11. Familie
Es sind bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige zu schaffen.
Die LIGA fordert die Schaffung von kinderfreundlichem und bezahlbarem Wohnraum. Die Audits zur familienfreundlichen Kommune sind auszubauen.
12. Migration, Flucht, Integration
Die neue Landesregierung ist auf die Einhaltung der Thüringer Verfassung verpflichtet, daraus leitet sich u.a. die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte aller im Bundesland lebender Menschen, zum Schutz der Demokratie und der Ermöglichung von Teilhabe aller ab. Um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, Rassismus und Diskriminierung entgegenzutreten, sollte die neue Landesregierung auch weiterhin auf die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Initiativen setzen, die für diese Werte einstehen und für diese so wichtige Arbeit Ressourcen aus dem Landeshaushalt bereitstellen.
Verbesserung der Aufnahmebedingungen in Erstaufnahmeeinrichtungen
Die Erstaufnahme von Geflüchteten und die menschenwürdige Ausgestaltung ihrer Unterbringung während des Asylverfahrens ist Aufgabe des Landes. Die Erstaufnahmeeinrichtungen haben die Aufgabe, eine humanitäre Aufnahme und Identifizierung sowie eine angemessene Versorgung besonderer Schutzbedürftigkeit zu gewährleisten. Dies ist aktuell nicht gegeben. Wir erwarten von der neuen Landesregierung, Erstaufnahmeplätze in ausreichender Anzahl und unter Einhaltung menschenrechtlicher Unterbringungsstandards vorzuhalten. Dabei muss sichergestellt werden, dass das bestehende Gewaltschutzkonzept gelebte Praxis ist.
Freiwillige Ausreise und menschenwürdige Abschiebung
Für den Vollzug von Abschiebungen ist das Land im Zusammenspiel mit den Kommunen zuständig. Abschiebungen unter Zwang sollten immer ultima ratio sein, d.h. nur erfolgen, wenn keinerlei Bleibeperspektive besteht oder eine freiwillige Ausreise nicht in Betracht kommt. Die Option der freiwilligen Ausreise sollte auch weiterhin der Abschiebung vorgezogen und den Ausreisepflichtigen als Angebot aufgezeigt werden.
Sollte es zu Abschiebungen kommen, sollten sich die zuständigen Behörden bei der Durchführung von Humanität leiten lassen: nächtliche Abschiebungen, Familientrennung durch Abschiebung, Abschiebung aus einem geschützten Setting (z.B. Krankenhaus, Schule oder anderen sozialen Einrichtungen) oder Abschiebungen während des Winters sollten unbedingt unterbleiben. Entsprechende Regelungen sollte das Land per Erlass treffen. Die Einrichtung einer zentralen Ausländerbehörde vorrangig als zentrale Abschiebebehörde lehnen wir ab.
Förderung der dezentralen Unterbringung in Wohnungen
Eine gut organisierte dezentrale Unterbringung in den Kommunen sollte wegen ihrer integrationsfördernden Wirkung möglichst frühzeitig erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass Mindeststandards für die Unterbringung in Wohnungen geschaffen und eingehalten werden. Für Geflüchtete müssen genügend Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Wohnungssuche eingerichtet werden. Aktuell stehen für die Unterbringung von Zugewanderten zu wenig dezentraler Wohnraum in Wohngebieten in Thüringen zur Verfügung. Diesen Notstand gilt es zu beseitigen. Bei der Unterbringung Geflüchteter sind insbesondere die Deckung der Grundbedürfnisse, die Achtung der Privatsphäre, der Zugang zu medizinischer Versorgung und Maßnahmen zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen Kriterien, an denen wir die neue Landesregierung messen werden.
Ausbau Asylverfahrensberatung (AVB)
Das Land sollte sich für eine flächendeckende Bereitstellung von Beratung im Asylverfahren einsetzen, indem es einen Ausbau des Bundesprogramms Asylverfahrensberatung (AVB) fordert und es selbst dafür Landesmittel als Drittmittel einsetzt. Denn die Asylverfahrensberatung verbessert die Qualität der Entscheidungen, da die Schutzsuchenden ihre Rechte und Pflichten im Verfahren besser verstehen. Das mindert das Frustpotential und verbessert die Chancen für gelingende Integration, beides sollte im Interesse des Landes sein.
Sicherung der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE)
Trägerübergreifend wurden in Thüringen für 2024 an 15 Hauptstandorten und 5 mobilen Standorten rund 31,12 Vollzeitäquivalente beantragt, um die Teilhabechance Ratsuchender in rechtlicher, sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht zu verbessern. Um die bestehenden und nachhaltigen Strukturen in Thüringen zu erhalten, ist eine angemessene Finanzierung dringend erforderlich. Analog zum Bundesprogramm Asylverfahrensberatung erwarten wir von der Landesregierung eine angemessene Kofinanzierung aus Landesmitteln, damit zumindest der in den Richtlinien geforderte Eigenmittelanteil auf die förderfähigen Kosten von mindestens 10 % gedeckt werden kann.
Sicherstellung eines flächendeckenden, qualifizierten Sprach- und Integrationskursangebotes für alle zugewanderten Menschen
Sprachbildung muss für alle Zugewanderten unkompliziert, lokal erreichbar und unabhängig vom Aufenthaltsstatus in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Aktuell sind bundesgeförderte Integrationskurse und landesgeförderte Sprachkurse nicht ausreichend vorhanden und oft räumlich schwer erreichbar. Die zugewanderten Menschen müssen oft mehrere Monate auf einen Platz in einem Integrationskurs warten.
Transparenz von Verwaltungshandeln und Effektivierung von Verfahrensabläufen
Im Hinblick auf die Umsetzung der Rechts- und Fachaufsicht über die Landkreise und kreisfreien Städte sollte die Landesregierung auf eine höhere Transparenz im Verwaltungshandeln auf örtlicher und überörtlicher Ebene gegenüber der Öffentlichkeit (z. B. Zuständigkeiten, Erreichbarkeiten, Kontaktdaten), die Etablierung digitaler Verfahrensabläufe zur Vereinfachung von Antragstellungen und Abläufen sowie auf eine stetige interkulturelle Öffnung der zuständigen Behörden hinwirken.
Zugleich ist es notwendig für eine Vereinheitlichung der Verwaltungsprozesse zu sorgen, um eine Abhängigkeit der Lebensbedingungen von lokalen Zuständigkeiten und politischen Interpretationen zu vermindern und damit gleiche Chancen für Menschen unabhängig von ihrem Wohnort zu gewährleisten.
Verbesserung von Integration und Teilhabe
Die Landesregierung sollte auf eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund sowie eine echte Teilhabe hinwirken. Es gilt, Menschen als individuelle Personen wahrzunehmen und ihnen als solche zu begegnen. Diskriminierende Strukturen sollen erkannt und aufgebrochen werden, damit mit Integration gelingen kann.
Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt
Um mehr Menschen den Weg in Arbeit zu erleichtern, braucht es schnellere und transparente Prozesse zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Das ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass Thüringen zu einer für ausländische Fachkräfte attraktiven Region wird. Aufgrund des demographischen Wandels wird es künftig nicht ausreichen, allein auf inländisches Arbeitskraftpotential zu setzen – daneben bietet Zuwanderung in den Arbeitsmarkt eine Chance, die sich abzeichnende Fachkräftelücke zu mindern. Wir erwarten von der Landeregierung die Integration von ausländischen Arbeitskräften fördernde Rahmenbedingungen zu schaffen und Zugewanderten, die schon hier sind, großzügig Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen.
13. Bezahlbarer (barrierefreier) Wohnraum
Teilhabe und Selbstbestimmung brauchen barrierefreien Wohnraum. Menschen mit Behinderung aber auch alte und pflegebedürftige Menschen und weitere marginalisierte Gruppen sind auf barrierefreie und finanzierbare Wohnungen angewiesen. Aktuell stehen davon viel zu wenige zur Verfügung – insbesondere für diejenigen, die sich aufgrund von Behinderung oder Pflegebedürftigkeit keine hochpreisigen Wohnungen leisten können. Auch werden Klient*innen Sozialer Arbeit aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung häufig nachrangig berücksichtigt.
Die Folgen für die Klient*innen sind weitreichend:
- erschwerter Zugang zu Wohnraum
- Diskriminierung aufgrund ihrer Gesundheitsgeschichte
- instabile Wohnsituationen: Vorurteile der Vermieter*in oder Nachbarn können zur Kündigung führen.
- soziale Isolation: Die Ablehnung auf dem Wohnungsmarkt verstärkt die soziale Isolation und kann die psychische Erkrankung / Suchterkrankung verschlimmern.
- Obdachlosigkeit: In extremen Fällen führt die Stigmatisierung zu Obdachlosigkeit, da Betroffene keine Unterkunft finden.
- Verschiebung der Problemlagen auf Leistungserbringer der Eingliederungshilfe, die ungewollt und häufig als Hauptmieter einspringen müssen, um menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen.
Neben der Schaffung von bezahlbarem barrierefreiem Wohnraum braucht es grds. ausreichend Wohnraum, der für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar ist. Dazu gehören z.B. auch Wohnungen für junge Menschen, die von zuhause ausziehen oder Alleinerziehende. Sie sind besonders häufig arm oder armutsgefährdet.
Die Situation trifft Careleaver (Personen, die in ihrer Kindheit und Jugend eine Zeit lang in stationären Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung oder in Pflegefamilien gelebt haben) nochmal besonders stark, da man oft nicht an sie vermieten wolle. Zusätzlich haben viele Careleaver keine Menschen, die für sie bürgen können – was aber von sehr vielen Vermieter*innen verlangt wird.
14. Sozialökologische Transformation
Wir leben in einer Zeit der Multikrisen. Dazu gehört die sozial-ökologische Transformation. Weltweit nehmen kritische Klimaereignisse zu und die Gesetzgebung erfordert eine intensive Auseinandersetzung der Unternehmen mit dem Thema. Die gemeinnützige Sozialwirtschaft kann über Gebäude, Fuhrparks und Versorgung mit Lebensmitteln einen wesentlichen Beitrag für die Transformationsprozesse in Thüringen leisten. Die Refinanzierungssystematik der sozialen Angebotsstruktur sieht keine finanziellen Spielräume zur Anpassung der Leistungserbringung in diesem Kontext vor. Daher müssen zusätzliche Mittel über einen entsprechenden Fonds bereitgestellt werden. Zusätzlich wird sich die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen einer zusätzlichen Belastung von Armut bedrohter Personen konsequent entgegenstellen. Die Transformation darf nicht auf dem Rücken marginalisierter Gruppen erfolgen.
15. Förderung der Demokratieprojekte und demokratische Bildung
Die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Monate haben die Fragilität der Demokratie gezeigt. Die Förderung der Demokratieprojekte und der demokratischen Bildung müssen zwingend erhalten und ausgebaut werden, um dem strukturell entgegenzuwirken. Auch Angebote zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sind zentral, um Vorbehalten der Gesellschaft gegenüber Menschen aus dem Ausland zu begegnen.
16. Ehrenamt
Die Erarbeitung einer Richtlinie oder weiterer Vereinbarungen zur Umsetzung des Ehrenamtsgesetzes ist unter Beteiligung der LIGA auch in evtl. zu schaffenden Begleitgruppen und / oder Arbeitsgruppen zu gestalten. Die Umsetzung des Landesprogramms Ehrenamt ist im Vorfeld mit allen Akteur*innen zu vereinbaren. Dabei muss das Ehrenamt der Zivilgesellschaft sichtbar werden. Die vom Gesetzgeber beschlossenen zusätzlichen Finanzmittel für das Landesprogramm Ehrenamt dürfen nicht aus bestehenden Haushaltstiteln des Landeshaushalt „abgezogen“ werden.
Im SPD-Wahlprogramm ist formuliert: „Abbau unverhältnismäßiger bürokratischer Belastungen für das Ehrenamt, mithilfe eines zentralen Portals mit Muster-Formularen und Informationen zu geltenden Regelungen.“ Bisher sind jedoch die Anträge an die Ehrenamtsstiftung niederschwellig, daher sollte ein mögliches zentrales Portal mit Muster-Formularen und Informationen nicht zu mehr Bürokratie führen.
17. Freiwilligendienste
Freiwilligendienste sind ein Gewinn für Thüringen. Sie bieten Menschen die Chance, sich auszuprobieren, zu wachsen und ein mögliches Berufsfeld zu erproben. Wir, die Verbände der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege, möchten diesen Schatz der Freiwilligendienste weiter stärken und ausbauen. Dazu haben wir die folgenden Erwartungen an die Landespolitik:
- Erhaltung der geförderten Platzzahlen in den verschiedenen Freiwilligendiensten über die ESF-Periode hinaus, unter Beibehaltung der Vielfalt des Spektrums der Einsatzstellen, durch das Land Thüringen
- Schaffung besserer Rahmenbedingungen und Kooperationen, um insbesondere junge Menschen mit niedrigeren Schulabschlüssen, Migrant*innen sowie junge Menschen mit besonderen Förderbedarfen einen Freiwilligendienst ermöglichen zu können
- Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen, um die Einsatzstellen in die Lage zu versetzen mindestens ein Taschengeld in Höhe von 500 € zu zahlen und eine qualitativ hochwertige pädagogische Begleitung zu ermöglichen
- Förderung des Deutschlandtickets für alle Freiwilligendienstleistende in Thüringen
- Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit und Bekanntheitsgrades der Freiwilligendienste, um den unterschiedlichen Zugängen der jungen Menschen, ihrem Bildungsabschluss sowie sozialem Hintergrund noch besser gerecht zu werden
18. Sicherstellung und Erhalt der sozialen Infrastruktur
Sichere finanzielle Rahmenbedingungen und Entbürokratisierung sind ein wesentlicher Schlüssel für den Erhalt der sozialen Infrastruktur. Eine Herausforderung der vergangenen Legislatur war für die Leistungserbringer der jährliche späte Beschluss der Haushalte auf Landes- und auf Bundesebene. Starke Verzögerungen bei Haushaltsbeschlüssen wirken sich auch unmittelbar auf die gesamte soziale Infrastruktur in Thüringen aus. Ohne eine Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten und pflegebedürftigen Personen sind deren Angehörige nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Der Erhalt und Ausbau der Dienste und Einrichtungen ist also für das gesellschaftliche Zusammenleben zentral. Dazu gehört deren Refinanzierung insoweit abzusichern, dass jährliche Haushaltsverhandlungen nicht mehr regelmäßig als Gefährdung der Unterstützung durch die Klient*innen, als Gefährdung des Arbeitsplatzes durch die Mitarbeitenden und als Gefährdung des Unternehmens an sich durch die Leistungserbringer wahrgenommen werden. Dass Angebote nur jährlich beschieden werden und das je nach Haushaltslage ist zu ändern. Es bedarf einer verlässlichen Finanzierung, u.a. für Beratungsdienste, Angebote der Jugendförderung, Demokratieprojekte und langfristiger Klarheit sowohl für die Menschen, die die Angebote in Anspruch nehmen als auch die Mitarbeitenden in den Diensten. Es bedarf einer bedarfsgerechten Bildungs- und Sozialinfrastruktur.
Eine sichere Finanzierung bedeutet auch, dass Träger in die Lage versetzt werden, ihre Angebote trotz steigenden Kosten für die Sach- und Personalausgaben aufrecht zu erhalten. Zu einer sicheren Finanzierung gehört auch die Übernahme tariflicher Steigerungen (Tarifverträge und kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien) durch das Land und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Steigerung der Summen in den Entgelttabellen handelt oder um eine Inflationsausgleichszahlung. Grundsätzlich ist das Besserstellungsverbot in der Landeshaushaltsordnung und den Förderrichtlinien abzuschaffen. Die Refinanzierung dieser Kosten im Rahmen des Landesjugendförderplans wurde zuletzt vom Land verweigert. Das belastet nicht nur die Träger, es bricht auch das Versprechen des Landes mit seiner Förderung einen Beitrag zu guten Arbeitsbedingungen in einer angespannten Fachkräftesituation zu leisten. Hier braucht es andere unkomplizierte und träger- und mitarbeiter*innenfreundliche Regelungen.
Eine Finanzierung über Projektförderung ist immer die schlechtere Wahl. Vor allem Beratungsstellenstrukturen, die täglich für Menschen in Krisen- und Notsituationen erreichbar sind und hohen Anforderungen im Rahmen von Qualitätsstandards und dem Fachkräftegebot gerecht werden müssen, benötigen verlässliche Rahmenbedingungen in der Finanzierung. Hier braucht es Lösungen, die gemeinsam von Politik und Verwaltung erarbeitet und getragen werden. Die Finanzierung der Sprach-Kitas oder Vielfalt vor Ort über Projektmittel haben gezeigt, dass es durch das Fehlen einer rechtzeitigen Anschlussfinanzierung zu einem Verlust an Arbeitsergebnissen, Mitarbeitenden, Wissen und dem aufgebauten Netzwerk kommt.
Ein großer Teil der Dienste und Einrichtungen werden über die kommunalen Haushalte refinanziert. Daher ist es für den Erhalt der sozialen Infrastruktur notwendig, die Haushalte der Kommunen so auszustatten, dass die zusätzliche Finanzierung auch sogenannter freiwilliger Leistungen ermöglicht wird und Verwaltungsprozesse beschleunigt werden können.
Dank für die vertrauensvolle Zusammenarbeit
Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen ist dankbar für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung in der vergangenen 7. Wahlperiode. Gemeinsam konnte die soziale Infrastruktur in Thüringen so gestaltet werden, dass sie der Gesellschaft zu Gute kommen und niemand in Thüringen alleingelassen wird. Auf vielfältigen Wegen konnten wir Informationen zur Verfügung stellen sowie auf Hindernisse und Herausforderungen hinweisen und damit gemeinsam eine passgenau und funktionsfähige Angebotslandschaft etablieren. Diesen Weg möchten wir gemeinsam in der 8. Wahlperiode fortsetzen. Die Erfahrung zeigt, dass durch ein frühzeitiges einbezogen werden in neue und nicht abgeschlossene Vorhaben von Politik und Verwaltung ein zukunftsfestes, demokratisches und soziales Thüringen pragmatisch, beschleunigt sowie praxis- und bedarfsorientiert gemeinsam gestaltet werden kann. Die vor uns liegenden Herausforderungen können nur gemeinsam angegangen und gestaltet werden.