Stellungnahme zu den fachlichen Empfehlungen der §§ 11-13 SGB VIII im Rahmen der Corona-Pandemie

Für den Bereich der sonstigen anerkannten Träger der freien Jugendhilfe haben sich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege abgestimmt und die hier vorliegende Stellungnahme gemeinsam erarbeitet.

 

Grundsätzliches

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen begrüßt das Anliegen, die verantwortungsbewusste Durchführung von Angeboten nach §§ 11-13 SGVIII während der Corona-Pandemie durch die fachlichen Empfehlungen zu unterstützten sowie deren situationsbezogene Aktualisierung. Die Angebote sind für junge Menschen äußerst wichtig und diese gerade in der Pandemie auf Freiräume, selbstorganisierte Angebote in einem institutionellen Rahmen und Unterstützung angewiesen.

Wir möchten die Gelegenheit jedoch auch nutzen, um darauf hinzuweisen, dass sich die Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte oder ehrenamtliche Jugendleiterinnen / Jugendleiter nicht einfach erschließen lassen. Insbesondere der teils unausgeführte Verweis auf weitere Verordnungen erschwert die Lektüre, da verschiedene Rechtstexte nebeneinandergelegt und gemeinsam gelesen werden müssen. Dies führt z. B. dazu, dass sich beim Verweis auf § 34 IfSG[1] offenbar ein Fehler eingeschlichen hat. Denn § 34 IfSG („Gesundheitliche Anforderungen, Mitwirkungspflichten, Aufgaben des Gesundheitsamtes“) bezieht sich auf eine ganze Reihe von Krankheiten, zu denen aber nicht die Erkrankung an Corona gehört. Worüber minderjährige junge Menschen und deren sorgeberechtigten Angehörigen informiert werden müssen, damit Träger ihrer Informationspflicht nachkommen, bleibt so vollständig unklar. Wir empfehlen den Text so anzupassen, dass dieser aus sich selbst heraus verständlich ist und Verweise auf weitere Verordnungen nur zur Transparenz und in Fußnoten einzufügen.

Darüber hinaus sind die Regelungen und Empfehlungen für die Aktivitäten nach §§ 11‑13 SGB VIII deutlich weniger differenziert, als es z. B. im Bereich der Gastronomie der Fall ist. Dies führt dazu, dass bei einer Inzidenz über 50 (Stufe Gelb) zwar die Außengastronomie geöffnet sein darf und größere Gruppen ohne Test und Mund-Nasen-Bedeckung auf vergleichsweise engem Raum zusammenkommen können, aber junge Menschen an Aktivitäten der Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit und Jugendsozialarbeit nur in festen Gruppen teilnehmen dürfen, auch wenn diese nicht in geschlossenen Räumen stattfinden. Wir halten diese unterschiedliche Behandlung für unsachgemäß und Trägern, Einrichtungen und jungen Menschen schwer vermittelbar. Wir empfehlen dementsprechend entweder insgesamt eine differenziertere Regelung oder mindestens die Unterscheidungen zwischen Aktivitäten im Freien und geschlossenen Räumen.

 

Einzelne Punkte

Grundlegende Vorgaben für die Durchführung

Die Formulierung von der „zuverlässigen und umfassenden Dokumentation relevanter Kontakte“ (S. 2) ist gleich doppelt unbestimmt und kann zu Verunsicherungen der Fachkräfte, Ehrenamtlichen, Einrichtungen und Träger führen. Sie werfen die Fragen auf, ob eine Papierliste oder eine digitale Abfrage eine zuverlässige Dokumentation sind, ob die Erfassung von Namen, Vornamen, Wohnanschrift oder Telefonnummer und Datum, Beginn und Ende der Anwesenheit eine umfassende Dokumentation darstellt und ob ein kurzes Vorbeischauen einer Person bereits ein relevanter Kontakt ist usw. In § 44 ThürSARS-CoV-2-Ki JuSSp-VO, auf den an dieser Stelle der fachlichen Empfehlung verwiesen wird, taucht keines dieser unbestimmten Begrifflichkeiten auf, stattdessen wird klar benannt, wann welche Daten zu erheben sind und wie mit diesen verfahren werden muss. Wir empfehlen, diese Informationen in die fachliche Empfehlung zu übernehmen.

Regelungen zu Stufe GELB

Die fachliche Empfehlung empfiehlt in Stufe GELB auch für Einzelangebote der Jugendarbeit, Streetwork und Jugendberatung eine Kontaktverfolgung. Wir empfehlen, die Einzelangebote der Jugendsozialarbeit und mobilen Jugendarbeit von einer solchen Kontaktverfolgung in Stufe GELB aus der fachlichen Empfehlung auszunehmen, sofern Abstands- und Hygieneregelungen eingehalten werden und eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird. Eine niedrigschwellige und anonyme Beratung sind für diese Angebote von zentraler Bedeutung. Die Kontaktverfolgung könnte junge Menschen davon abhalten, diese wichtigen Angebote anzunehmen. Es ist für uns zudem nicht ersichtlich, warum von einer Einzelberatung unter Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsregeln und mit Mund-Nasen-Bedeckung – die im Fall von Streetwork zudem vielfach im freien stattfindet – ein höheres Risiko ausgehen sollte als von der Benutzung des ÖPNV, für dessen Nutzung eine Kontaktverfolgung nicht erforderlich ist.

Regelungen zu Stufe ROT

Es ist nicht eindeutig ersichtlich, ob die Formulierung „kann es befristet zur Schließung bzw. Untersagung bestimmter Angebote durch das Gesundheitsamt kommen“ (S. 2)

  • um die Untersagung einzelner spezifischer Angebote innerhalb der Angebote nach §§ 11-13 SGB VIII,
  • um die Untersagung einzelner dieser Angebote nach §§ 11-13 SGB VIII, also z. der gesamten Jugendarbeit in einem Landkreis,
  • oder aller dieser in §§ 11-13 SGB VIII bestimmten Angebote geht.

Wir empfehlen hier eine Klarstellung, um unnötige Klärungsprozesse im Falle einer drohenden Stufe ROT, z. B. zwischen den Jugendämtern der Landkreise und dem TMBJS zu vermeiden. Wir regen darüber hinaus an, zu empfehlen, die Angebote der Jugendsozialarbeit, sofern es sich um Beratungen, Einzelfallhilfen oder Kriseninterventionen handelt, auch in der Stufe ROT nicht vollständig zu untersagen. Insbesondere bei einer erneuten Verschärfung der Pandemie ist mit einem sehr hohen Bedarf junger Menschen nach solchen Angeboten zu rechnen. Diese können helfen, Krisen zu bewältigen oder dabei unterstützen, sie gut zu überstehen.

Hinweise auf zusätzliche Ressourcen

An verschiedenen Stellen verweist die fachliche Empfehlung auf notwendige zusätzliche Ressourcen. Etwa

  • materielle Ressourcen wie Desinfektions- und Reinigungsmittel, Masken (S. 4), Tests (S. 7) oder Hard- und Software (S. 5), die für die Kommunikation über Social Media ebenfalls erforderlich sind,
  • personelle Ressourcen zur Umsetzung und Überwachung von Hygienevorschriften, insbesondere Reinigungskräfte (S. 4), zusätzliches (Hilfs-)Personal (S. 5), zeitliche (d. letztlich auch Personal-) Ressourcen für die sinnvolle Integration oder Beibehaltung der Kommunikation über Social Media.

Diese Forderungen sind nach unserer Einschätzung alle sinnvoll, insbesondere die freien Träger müssen jedoch auch in die Lage versetzt werden, diese Ressourcen aufzuwenden. Dies ist nicht möglich, wenn es zu einer Refinanzierung über die zuständigen öffentlichen Träger der Jugendhilfe kommt.

Testungen im Test-Zentrum im Rahmen der Kinder- und Jugenderholung

Die empfohlene Testung während des Aufenthalts in Jugendbildungseinrichtungen bzw. während der Teilnahme an Angeboten der Kinder- und Jugenderholung begrüßen wir. Den Vorschlag, dafür die kostenlosen Testzentren zu nutzen, halten wir jedoch nicht für zweckmäßig. Mit der Nutzung eines Testzentrums ist regelmäßig eine An- und Abreise verbunden. Diese

  • stört das Programm der Maßnahmen,
  • geht mit vermeidbaren Kontakten einher,
  • dürfte preislich die Kosten für die Tests regelmäßig übersteigen.

Wir befürworten daher eine Empfehlung zur Testung im Rahmen der Maßnahmen und eine Refinanzierung durch die öffentlichen Träger der Jugendhilfe in die fachliche Empfehlung aufzunehmen.

Hygienemaßnahmen

Das Abwischen der Stühle, die Ausgabe von verpacktem Essen mit Handschuhen, die Reinigung von Bällen, Brettspielen, Bastelmaterialien usw. nach jeder Benutzung dürften unnötig sein. Das Bundesinstitut für Risikobewertung erklärt „dass bis jetzt kein einziger Fall bekannt geworden ist, bei dem Coronaviren‚ über das Berühren von Oberflächen, beispielsweise von Bargeld, Kartenterminals, Türklinken, Smartphones, Griffen von Einkaufswagen, Verpackungen, Tüten oder (Sport-)Bällen‘ übertragen wurden“[2]. Auch wenn die genaue Ursache der Infektion nur in wenigen Fällen nachvollziehbar ist, ist eine Infektion über solche Gegenstände wenig wahrscheinlich. Entsprechend ist es nicht vermittelbar, warum ein Ball in einer Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit häufiger gereinigt werden muss als ein Kartenterminal im Supermarkt. Wir empfehlen daher die Streichung der entsprechenden Passagen.

Betreuung fester Gruppen

Die aktualisierte Fassung der fachlichen Empfehlung sieht eine Betreuung der „beständigen, festen und voneinander ab[ge]grenzten Gruppen“ nur noch durch hauptamtliches Personal vor (S. 5 f.). Wir empfehlen eine Betreuung der Gruppen durch Ehrenamtliche, die im Besitz einer Juleica, einer sozialpädagogischen Ausbildung bzw. verbandlichen Lizenz sind weiterhin zu ermöglichen. Sofern eine Einschränkung notwendig erscheint, sollte eine Abweichung zumindest im begründeten Einzelfall möglich sein. Ehrenamtlich getragene Aktivitäten und Einrichtungen müssten ansonsten vollständig schließen und wichtige Angebote wegfallen.

Auch die Öffnung selbstverwalteter Einrichtungen für „konkrete Angebote einer dauerhaft festen konkreten Gruppe junger Menschen“ sollte durch die oben genannte Gruppe von Ehrenamtlichen weiter möglich bleiben. Zu Beginn des Absatzes wird die Gruppe der Jugendleiterinnen / Jugendleiter auch noch benannt, sie fällt dann aber in der Positivformulierung weg.

 

[1] „die Belehrung minderjähriger junger Menschen mit den sorgeberechtigten Angehörigen im Zusammenhang mit der Informationspflicht nach §34 IfSG“ (S. 4 der fachlichen Empfehlung)

[2] Coronavirus: Kann ich mich an Oberflächen mit Covid-19 infizieren? (t-online.de)

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