2020-09-01 Nachhaltigkeit als Staatsziel in der Thüringer Landesverfassung?

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen spricht sich für die Aufnahme des Nachhaltigkeitsprinzips als Staatsziel in der Thüringer Landesverfassung aus.

Aus unserer Sicht sollte „Nachhaltigkeit“ als Ziel in der Landesverfassung verankert werden, damit die Zukunft einen höheren Stellenwert im gegenwärtigen politischen Handeln erhält. Schon 1989, lange bevor der Begriff „Nachhaltigkeit“ als politisches Schlagwort Hochkonjunktur erlebte, stellte das Bundesverfassungsgericht zu den Grenzen staatlicher Verschuldung fest, dass es auch zu den Aufgaben des demokratischen Gesetzgebers gehöre, „über die Amtsperiode hinauszugehen, Vorsorge für die dauerhafte Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen zu treffen und damit auch die Entscheidungsgrundlage nachfolgender Amtsträger inhaltlich vorauszubestimmen“ (BVerfG, Urt. v. 17.01.1989, Az. 2 BvF 1/82).

Im Folgenden orientieren wir uns an den Leitfragen der Anfrage.

1. Kann die Aufnahme des entsprechenden Staatsziels [Nachhaltigkeit] Ihrer Meinung nach in Ihrem Tätigkeitsfeld eine konkrete Wirkung entfalten? Wenn ja, inwiefern?

Klimawandel, Ungleichheit und Armut sowie fehlende Geschlechtergerechtigkeit und – gleichstellung sind nicht nur global sondern auch in Thüringen große Herausforderungen. Ob die Benennung von Nachhaltigkeit als Staatsziel eine Wirkung auf den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft - und der Freien Wohlfahrt - entfaltet, muss sich zeigen. In der Folge müssen Ziele und Maßnahmen konkret benannt und umgesetzt sowie klare politische Rahmenbedingungen und Investitionsanreize in Sachen Nachhaltigkeit geschaffen werden.

Grundsätzlich werden eine ganze Reihe von Kernthemen der Freien Wohlfahrtspflege, von der Entwicklungszusammenarbeit und Humanitären Hilfe über das Wohnen bis hin zu Mobilität und Infrastruktur berührt. Gebäudesanierungen und effiziente Gebäudeenergie, Klimafreundliche Verpflegung, nachhaltige Beschaffung oder Mobilitätskonzepte werden so ermöglicht.

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen sieht sich im Zweifelsfall aber auch in der Verpflichtung, Partei zu ergreifen. Geschädigte klimapolitischer Unterlassungen weltweit oder marginalisierte Gruppen, sind darauf angewiesen, dass die notwendige ökologische Wende sozial-ökologische ausgestaltet wird.

2. Ist die Aufnahme des entsprechenden Staatsziels [Nachhaltigkeit] eine Verbesserung oder sind aus Ihrer Sicht (auch) andere Maßnahmen notwendig / sinnvoll?

Die Aufnahme von Nachhaltigkeit als Staatsziel kann eine symbolische Wegmarke, aber nicht das Ziel sein. Es darf nicht nur darum gehen, im Nachhinein zu evaluieren wie bestimmte Maßnahmen wirken oder gewirkt haben, sondern es müssen bereits während des Erarbeitens von Entwürfen oder im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, alle absehbaren Folgen auf Nachhaltigkeit abgeprüft und so bereits im Entstehungsprozess berücksichtigt werden.

Weitere konkrete Maßnahmen zur Übersetzung des Staatsziels können sein:

  • Landesstrategie mit einer gezielten Öffentlichkeitskampagne und einer Koordinierung der Aktivitäten.
  • Einberufung eines „Runden Tisches Nachhaltigkeit“: Wir regen hiermit einen strategischen Fachaustausch zwischen handelnden Akteuren und Politik an. Interministerielle Arbeitsgruppe: Hier kann eruiert werden, in welchen Resorts der
    Landesregierung Nachhaltigkeitsstrategien nötig sind, wo es Überschneidungen und Möglichkeiten zur Vermeidung von Doppelstrukturen gibt und welche aktuellen Herausforderungen hier möglicherweise übertragbar sind.
  • Etablierung und breite Aufstellung einer Landesarbeitsgemeinschaft für Nachhaltigkeit zur Vernetzung, Austausch und Synergien, Innovationen und Angeboten.
  • Vorhaben nach der Erprobung in einer Projektphase in eine Regelförderung zu überführen.

Darüber hinaus empfiehlt es sich, eine überprüfbare verfahrensmäßige Absicherung des Gesetzgebungsprozesses hinsichtlich dem Nachhaltigkeitsaspekt in der Verfassung zu verankern.

Die Aufnahme als Staatsziel muss zur Folge haben, den Aspekt bei Landes- und Förderprogramme, insbesondere bei Infrastrukturprogrammen, maßgeblich zu berücksichtigen. Hier verweisen wir darauf, dass im Themenkomplex öffentliche Daseinsvorsorge die Träger der Freien Wohlfahrt in die Lage versetzt werden müssen, stärker von solchen Infrastrukturprogrammen zu profitieren, damit sie Maßnahmen zu Nachhaltigkeit, Umwelt- und Naturschutz einleiten können. Bislang ist dies für Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege, die zum großen Teil in der Rechtsform Verein existieren, nicht der Fall. So kann sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen nicht zu Lasten der Klient*innen gehen.

3. Welche Dimensionen muss ein Staatsziel Nachhaltigkeit im Rahmen einer Landesverfassung abbilden? In welchem Umfang werden die vorgeschlagenen Formulierungen dem gerecht?

Die genannten Dimensionen des Staatsziels fokussieren sich stark auf das Thema der Generationengerechtigkeit. Unserer Ansicht nach sind die Dimensionen der Nord-Süd- Gerechtigkeit sowie dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur mindestens genauso Rechnung zu tragen, um der Vielschichtigkeit und Komplexität des Nachhaltigkeitsbegriffs zu entsprechen. Darüber hinaus sind die besonderen Gegebenheiten in Thüringen als Flächenland mit starker ländlicher Prägung hinsichtlich von Gerechtigkeitsfragen in besonderem Maße zu berücksichtigen.

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