Stellungnahme zum Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes zur Hilfe und Unterbringung psychisch kranker Menschen und zur Änderung des Thüringer Maßregelvollzugsgesetzes

Im vorgelegten Gesetzentwurf der FDP Fraktion ist der Richtervorbehalt entsprechend des Bundesverfassungsgerichtsurteils bei Ergreifen von besonderen Sicherungsmaßnahmen berücksichtigt. Insofern wurde diese Forderung in Landesrecht aufgenommen. Wir halten darüber hinaus aber weitere Ergänzungen bzw. Änderungen im Gesetzentwurf entsprechend des BVG-Urteils für notwendig.

Nachfolgend gehen wir anhand des beigefügten Fragenkataloges auf die aus unserer Sicht zentralen Punkte in der Entwurfsfassung ein und stellen unsere Hinweise und Anpassungsbedarfe diesbezüglich dar.

 

1. Entspricht der vorgelegte Gesetzentwurf Ihrer Ansicht nach dem Verfassungsgerichtsurteil vom 24. Juli 2018 (2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16)? Welche Änderungen halten Sie für notwendig?

Im vorgelegten Gesetzentwurf der FDP Fraktion ist der Richtervorbehalt entsprechend des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 24. Juli 2018 bei Ergreifen von besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 14 Abs. 1 Satz 5 ThürPsychKG und § 26 ThürMRVG Abs. 1 Satz 5 berücksichtigt. Insofern wurde diese Forderung in Landesrecht aufgenommen. Wir halten darüber hinaus aber weitere Ergänzungen bzw. Änderungen im Gesetzentwurf entsprechend des BVG-Urteils für notwendig:

  • Eine unverzügliche Information der gesetzlichen Vertreter des Untergebrachten bzw. des von der besonderen Sicherungsmaßnahme Betroffenen muss erfolgen, sofern dies nicht dem mutmaßlichen Willen der untergebrachten Person widerspricht.
  • Eine Ankündigung der beabsichtigten besonderen Sicherungsmaßnahme gegenüber dem Patienten in verständlicher Form muss erfolgen.
  • Die Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme muss zwingend von einem Arzt bzw. von einer Ärztin vorgenommen werden (vgl. BVG-Urteil), Anordnungen von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen sind u.E. nach nicht rechtmäßig.

2. Welche Auswirkungen hat der vorgelegte Gesetzentwurf auf die Arbeits- und Organisationsabläufe in den Einrichtungen des Maßregelvollzuges in Thüringen?

Welche Auswirkungen hat der Gesetzentwurf auf Personal und den wirtschaftlichen Betrieb der Einrichtungen?

Es ist zu vermuten, dass besondere Sicherungsmaßnahmen zu einem höheren Personalaufwand z.B. durch eine 1:1-Betreuung sowohl im Maßregelvollzug wie auch in der Allgemeinpsychiatrie führen werden. Dieser muss sichergestellt sein.

3. Welche Auswirkungen hat der vorgelegte Gesetzentwurf auf die im Thüringer Maßregelvollzug Untergebrachten?

Den Patientinnen und Patienten im MRV und den nach PsychKG untergebrachten Personen wird eine gesetzeskonforme Umsetzung des BVG-Urteils zugesichert. Dazu zählen, dass nach einer ärztlichen Einschätzung eine richterliche Genehmigung erfolgt, die Maßnahme ihm bzw. ihr in einer verständlichen Form erläutert wird. Ebenso sind die betroffenen Personen auf die Möglichkeit der nachträglichen gerichtlichen Überprüfung der Zulässigkeit der besonderen Sicherungsmaßnahme hinzuweisen.

Eine urteilskonforme Umsetzung bietet auch den tätigen Ärztinnen und Ärzten sowie allen anderen therapeutisch-pflegerischen Berufsgruppen einen sicheren Rechtsrahmen, in dem der Handlungsspielraum konkret beschrieben ist.

4. Grenzt die in § 14 Abs. 1 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 1 ThürMRVG genannte Einschränkung...

..., nur bei „gegenwärtigen erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung oder einer gegenwärtigen erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter Dritter“ im richtigen Maße ein, in welchen Situationen besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 14 Abs. 1 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 1 ThürMRVG ergriffen werden können?

Es ist zu prüfen, ob als weiterer Zulässigkeitsgrund das geplante unerlaubte Verlassen der Einrichtung aufgeführt werden kann, wenn dem nicht durch mildere Mittel zu begegnen ist.

In § 26 ThürMRVG Abs. 1 Satz 2 ist jedoch noch der Zusatz: „Die Maßnahme darf nicht über das Erforderliche hinausgehen und der zu erwartende Nutzen muss die zu erwartende Beeinträchtigung deutlich feststellbar überwiegen“ enthalten. Aus Sicht der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege müsste dieser Zusatz ebenso in § 14 ThürPsychKG aufgenommen werden, denn auch bei Patienten und Patientinnen im Sinne des ThürPsychKG sollte dieser Grundsatz ebenso Priorität haben.

5. Sollte in § 14 ThürPsychKG bzw. § 26 ThürMRVG Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 neben der Wegnahme auch die Vorenthaltung von Gegenständen ausdrücklich erlaubt sein?

Ja, insofern es sich um Gegenstände handelt, die dazu geeignet sind, eine erhebliche Selbst- oder Fremdverletzung sowie die erhebliche Gefährdung der Rechtsgüter Dritter herbeizuführen.

6. Sollten zusätzlich zu den in § 14 ThürPsychKG bzw. § 26 ThürMRVG Abs. 1 Satz 1 Nr 1-5 genannten besonderen Sicherungsmaßnahmen weitere Maßnahmen genannt werden...

..., wie etwa die Absonderung von anderen Patienten oder die medikamentöse Ruhigstellung?

Die Absonderung in einen anderen Raum ist u.E. durch § 14 ThürPsychKG Abs. 1 Satz 3 bzw. § 26 ThürMRVG Abs. 1 Satz 3 gegeben.

7. Ist die Lösung rechtssicher und praktikabel, besondere Sicherungsmaßnahmen...

...nach § 14 Abs. 1 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 1 ThürMRVG durch zuständige Ärzte oder Psychotherapeuten schriftlich anordnen zu lassen?

Verweis auf die Antwort zu Frage 1.

8. Sollten eine für den Patienten verständliche Ankündigung (§ 26 Abs. 2 ThürMRVG) und Nachbesprechung...

...(§ 14 Abs. 6 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 7 Thür MRVG) der besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 14 Abs. 1 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 1 ThürMRVG gesetzlich fixiert werden?

Aus Sicht der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege sollten entsprechende Ankündigungen gesetzlich fixiert werden, da Maßnahmen der besonderen Sicherung einen tiefgreifenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und Intimsphäre eines jeden Menschen darstellen, sodass eine Ankündigung in einer ihm verständlichen Sprache unabdingbar ist und ihm retrospektiv die Gelegenheit gegeben werden muss, die Situation im Gespräch mit den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufzuarbeiten. Der Abschluss von Behandlungsvereinbarungen sollte in diesem Zusammenhang angeboten und gefördert werden.

9. In welcher Form sollte die Dokumentation (§ 14 Abs. 7 ThürPsychKG bzw. § 26 Abs. 8 ThürMRVG) erfolgen und welche Inhalte der Dokumentation sind gesetzlich zu fixieren?

Die Dokumentation sollte mittels einer einheitlichen qualitätsgesicherten und datenschutzkonformen Software erfolgen. Die Dokumentation sollte in aggregierter Form zur Berichterstattung dem zuständigen Ministerium regelmäßig zur Verfügung gestellt werden.

Mindestens dokumentiert werden sollte:

  • Ankündigung und Begründung der besonderen Sicherungsmaßnahme
  • Gründe für die Anordnung einschließlich der vergeblich ergriffenen milderen Mittel
  • Gerichtliche Anordnungsentscheidung
  • Art und Beginn der Maßnahme
  • Art der Betreuung / Überwachung
  • Etwaige Verlängerung und Beendigung der Maßnahme
  • Nachbesprechung der Maßnahme
  • Hinweis auf nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Maßnahme
  • Information der gesetzlichen Vertretung des von der Maßnahme betroffenen Menschen

10. Sollten die Regelungen in § 14 ThürPsychKG und § 26 THürMRVG generell synchronisiert werden?

Aus Sicht der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege können die § 14 ThürPsychKG und § 26 THürMRVG synchronisiert werden.

 

Abschließend möchten wir auf weiteren Überarbeitungsbedarf in den hier zur Diskussion stehenden Gesetzen hinweisen. Die 2011 und 2013 getroffenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Zwangsbehandlungen müssen ebenfalls umgehend in Thüringen umgesetzt werden. Hier bestehen große Regelungslücken, die  zu massiven Unsicherheiten in der Praxis führen.

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