Bericht zum Forum Schuldnerberatung 2021

Roman Schlag, Sprecher der AG SBV

In diesem Jahr gab es wieder spannende Vorträge zu den fachlichen und sozialpolitischen Entwicklungen in der Schuldnerberatung. Unter dem Motto DER MENSCH HINTER DEN SCHULDEN, welches bereits die Aktionswoche Schuldnerberatung 2021 thematisierte, wurden an zwei Vormittagen folgende Themen bearbeitet:

 

 

 

Vorträge am 11. November

•    Sozialpolitik in der Corona-Krise von Dr. Florian Blank/ Hans-Böckler-Stiftung
•    Menschen in prekären Situationen und Armutslagen von Antonio Brettschneider/ TH Köln
•    Überschuldungsforschung in Deutschland von Dr. Sally Peters/ Institut für Finanzdienstleistungen

Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte aus den Vorträgen finden Sie hier:

 

Sozialpolitik in der Corona-Krise
Dr. Florian Blank vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung zeigte den massiven Einfluss der Corona-Pandemie auf eine große Anzahl gesellschaftlicher Bereiche in Deutschland auf. Die Krise hat nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich dramatische Auswirkungen gehabt. Die notwendige Bekämpfung und Vermeidung der Ausbreitung des Virus erfolgte durch massive und einschneidende Maßnahmen. Infolge dessen war die Politik bzw. der Staat in der Pflicht, die sich daraus ergebenden negativen Folgen abzumildern. Durch flexible Anpassungen einzelner sozialpolitischer und familienpolitischer Instrumente (Anpassung Kurzarbeit, Erhöhung der Kinderkrankentage, vereinfachter Zugang zu Sozialleistungen, Kinderzuschlag) hat sich gezeigt, dass der Sozialstaat (immer noch) stabil ist und diese Stabilität in vielen Bereichen und für viele Menschen gewährleistet ist. Gleichwohl ist er immer wieder an Grenzen gestoßen. Insbesondere die Beschäftigten aus der Leiharbeit, Mitarbeitende in geringfügiger Beschäftigung oder in befristeten Arbeitsverhältnissen sowie die (Solo-)Selbständigen haben oft keine adäquate Hilfe erfahren. Dafür fehlten entsprechende Instrumente. Dr. Blank konstatierte, dass sich der Sozialstaat - was seine Reichweite in die Gesellschaft betrifft - verändern muss. Der sogenannte „Universale Sozialstaat“ wäre dafür ein notwendiger Schritt. Das beinhaltet unter anderem die Veränderung der Versicherungssysteme hinsichtlich Rente, Krankenversicherung oder der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

 

Menschen in prekären Situationen und Armutslagen
Prof. Brettschneider von der Technischen Hochschule Köln hat zum 6. Armuts- und Reichtumsbericht ein begleitendes (qualitatives) Forschungsprojekt durchgeführt. Mit Interviews von Menschen aus der Prekarität und Armutslagen in Deutschland sollte in subjektiver Blick auf die Wahrnehmung und Bewertung sozialer Teilhabe gewonnen werden. Ein nicht unerheblicher Teil der Befragten war Schuldenbelastet (12 von 64 der Befragten befanden sich in Überschuldungssituationen). Die Ursachen dafür waren sehr komplexe individuelle und familiäre Problemkonstellationen und damit eine Mischung aus vermeidbarem Verhalten und eingetretenen Ereignissen. Prof. Brettschneider hat in seinem Vortrag die Komplexität der Überschuldung spannend aufgezeigt. Mit Hilfe eines Phasenmodells beschreibt er in vier Stufen die Intensität der Überschuldung in ihren Auswirkungen auf die Betroffenen.
Prof. Brettschneider appelliert für einen ganzheitlichen Hilfeansatz. Denn für viele Betroffene ist Überschulung ein biografisch verfestigter Dauerzustand. Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz und qualitativ guter Beratung ist es möglich, der Verzahnung der Probleme und ihrem langjährigen Bestehen auf allen Ebenen entgegenzuwirken. Dazu gehört es auch, Hilfsangebote zugänglicher zu machen, aber ohne Druck auszuüben. Es geht dabei eher um das Ermächtigen der Menschen in ihrer schwierigen Lebenslage.
Um ganzheitliche Angebote machen zu können, aber auch um die Problematik der Überschuldung schneller(er) zu erkennen, sind Angebote mit „Lotsenfunktion, Schnittstellenmanagement und Verzahnung von Hilfen notwendige und wichtige Bausteine. Aus über das Onlinezugangsgesetz kann zumindest im digitalen Bereich Beratungsleistungen niedrigschwellig abrufbar sein.

 

Die Situation überschuldeter Haushalte in Deutschland
Ergebnisse aus der Überschuldungsforschung stellte Dr. Sally Peters in ihrem Vortrag vor. Aktuelle Zahlen lieferte der Anfang November erschienene Schuldneratlas der Creditreform. Überraschend zeigte dieser auf, dass die Schuldnerquote in Folge gesunken ist. Nunmehr befinden sich laut Schuldneratlas 8,8 Millionen Menschen in dieser besonderen Lebenslage. Das sind 700.000 weniger als im vorausgegangenen Jahr. Überraschend deswegen, da die Corona-Pandemie eine Vielzahl an Menschen in finanzielle Schwierigkeiten gebracht hat, wie verschiedene Studien aufzeigen, u.a. die FES-Studie von Korczak/Peters/Roggemann 2021.
Diese Zahlen des Schuldneratlas müssen sicher mit einem kritischen Auge gelesen werden, denn nach einer Umfrage der AG SBV unter Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Deutschland im Jahr 2021 verzeichnete ein Großteil der Beratungsstellen einen Anstieg der Anfragen nach Beratung.
Dass die Zahl der Insolvenzen sprunghaft angestiegen ist, ist zu großen Teilen auf die Verkürzung der Restschuldbefreiung im Dezember 2020 zurückzuführen.
Anhand eigener Daten aus dem iff-Überschuldungsreport von 2021 konstatierte Peters, dass die meisten Betroffenen (38 %) weniger als 10.000 € Schulden haben. Einkommensarmut und Überschuldungsrisiko korrelieren hoch, was sicher keine Überraschung ist. Ungünstige Auswirkungen auf Überschuldete haben zudem die steigenden Wohn- und Energiekosten sowie die hohen Kosten für Mobilität. Es gibt immer noch viele Menschen, die die ihnen zustehenden Sozialleistungen nicht in Anspruch nehmen. Dies ist insofern ein wichtiger Punkt, da in der öffentlichen Debatte häufiger von sognannten Ausbeutern der Sozialsysteme gesprochen wird, als von denen, die aus Scham, Unwissenheit oder fehlender Beratung Hilfen nicht beantragen. Um Überschuldung zu beschreiben verwendet Peters eine Dreiteilung: die prekäre Lebenslage, die enthüllte Überschuldung und die bekämpfte Überschuldung.
Weitere Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen im Überblick:

•    neues Inkassorecht seit 01.10.21
•    Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz (PKoFoG) zum 01.12.21 (01.08.21 teilweise)
•    jährliche Anpassung der Pfändungsfreigrenzen ab sofort
•    Gerichtsvollzieherschutzgesetz zu, 01.01.22 (zum 08.05.21 teilweise)
•    Provisionsdeckel für Restschuldversicherungen ab dem 01.07.22
•    Gesetz für faire Verbraucherverträge zum 01.10.21 (01.03.22/ 01.07.22 teilweise)

 

Vorträge am 12. November

•    Verlässliche Finanzierung der Schuldnerberatung von Prof. Dr. Andreas Rein/ HS Ludwigshafen & Caro Berndt/ Schuldner- und Insolvenzberatung
•    Betroffenheit sozialer Dienstleister in der Corona-Pandemie von Dr. Renate Reiter/ Zentrum für Evaluation und Politikberatung
•    Perspektiven der Schuldnerberatung von Michael Weinhold/ ISKA Nürnberg

Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte aus den Vorträgen finden Sie hier:

 

Verlässliche Finanzierung der Schuldnerberatung
Prof. Dr. Andreas Rein von der Hochschule Ludwigshafen und Schuldnerberaterin Caro Berndt stellten erste Ergebnisse der im Frühjahr 2022 erscheinenden Studie zur Finanzierung der Schuldnerberatung vor.
Hier zeigt sich zunächst ein Flickenteppich bei der Art und Weise, wie die Beratungsstellen in Deutschland gefördert werden: So sind Schuldner- und Insolvenzberatung getrennt finanzierte Bereiche, die inhaltlich aber kaum zu trennen sind. Hinzu kommt, dass Schuldnerberatung zwar eine Pflichtleistung der Kommunen darstellt, hiervon jedoch nur Personen profitieren können, die sich im SGB II oder SGB XII wiederfinden. Ein Ausschluss von bestimmten Personengruppen ist im Gegensatz zur Pauschalfinanzierung vor allem dann gegeben, wenn über Fallpauschalen finanziert wird.
Die Auswirkungen der Pandemie verdeutlichten den Vorteil der Pauschalfinanzierung. So mussten die Beratungsstellen während der Schließung im Lockdown nicht um ihre Finanzierung bangen und auch Ratsuchende ohne SGB II oder SGB XII Bezug erhielten wichtige Informationen.
Wie sinnvoll eine Umstrukturierung des Finanzierungsmodells der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen sein kann wurde deshalb in der Studie analysiert. Im Fokus stand dabei der Freistaat Bayern, wo auf eine Pauschalfinanzierung umgestellt wurde und die sonst getrennt finanzierten Bereiche Schuldnerberatung und Insolvenzberatung nun zusammen kommunal getragen werden.
In den Expert*inneninterviews wurde deutlich, dass sich diese Umstrukturierung sehr positiv auf die Qualität der Beratung ausgewirkt hat, allein schon deshalb, weil nun keine Finanzierungsfragen mehr im Vordergrund stehen. Auch die Planungssicherheit wurde als positiver Aspekt herausgestellt. Für einen solchen Übergang braucht es jedoch einen langen Atem sowie die Berücksichtigung von Strukturen, die auf der getrennten Finanzierung durch Kommunen und Land beruhen.

 

Betroffenheit sozialer Dienstleister in der Corona-Pandemie
Dr. Renate Reiter vom Zentrum für Evaluation und Politikberatung stellte die Ergebnisse der im August 2021 veröffentlichten Studie mit Fokus auf die Schuldner- und Insolvenzberatung vor. Dabei schilderte sie die Einflüsse, die sich durch die Pandemie und die getroffenen politischen Maßnahmen ergeben.
Die Zahlreichen Anforderungen und ständigen Anpassungen in Bezug auf Covid-19 und Infektionsschutzmaßnahmen stellten die Beratungsstellen vor große Herausforderungen. Gleichzeitig stieg unter dem demselben Vorzeichen der Andrang der Ratsuchenden.
Einerseits galt es Präsenzberatung wieder zu ermöglichen und hierfür Konzepte für den Infektionsschutz vorzuhalten (Hygienekonzept, Quarantäneregelung, Schutzausstattung, Terminorganisation etc.). Andererseits wurden alternative Beratungskanäle entwickelt und genutzt, was ebenfalls einige Probleme, Kosten und Mehrarbeit mit sich brachte (technische Ausstattung, Datenschutz, Schulung, digitale Akten etc.). Weitere Herausforderungen ergaben sich in der Kommunikation mit Dritten und in Bezug auf die Finanzierung.
Einige wenige Beratungsstellen machten auch von Kurzarbeit Gebrauch, während das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) für die Schuldnerberatung wenig geeignet und für die Insolvenzberatung nicht anwendbar war.
Insgesamt zeigte sich ein großer Handlungsbedarf, um die sozialen Angebote krisenfester zu machen und bspw. Regelungen für die Finanzierung von digitalen Beratungssettings, die sich nicht nach kommunalen Grenzen richten, zu schaffen. Und auch hier wurde erneut deutlich, dass die Förderung über Fallpauschalen nachteilig ist.

 

Perspektiven der Schuldnerberatung
Zum Schluss der Veranstaltung wagte Michael Weinhold, stellvertretender Sprecher der AG SBV, nochmal einen Rundumschlag zur aktuellen und künftigen Situation der Schuldnerberatung. Angesichts der vielen der Änderungen allein durch die Gesetzgebung gab es dabei viel zu berichten:
So gibt nun endlich wieder eine klare Zuständigkeit auf Bundesebene durch die Schaffung des Referats „Überschuldung und Resilienz von Verbraucherinnen und Verbrauchern“ im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Eine Ansprechpartner*in im Sozialministerium, wo die gesetzliche Grundlage der Schuldnerberatung verortet ist, fehlt allerdings weiterhin.
Als Motor für viele Aspekte des Verbraucherschutzes lässt unter anderem die Europäische Union ausmachen. Sowohl das Grundrecht auf ein Zahlungskonto, als auch die Verkürzung der Restschuldbefreiung, die Datenschutz-Grundverordnung und die Anpassung des Schuldnerschutzes bei der Strom- und Gasversorgung. Insbesondere der Entwurf einer Verbraucherkreditrichtlinie lässt auf eine steigende Wertschätzung und bessere Ausstattung von Schuldnerberatungen hoffen, wo es im Artikel 36 heißt: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Verbrauchern Schuldnerberatungsdienste zur Verfügung gestellt werden.“ Auch wenn eine Umsetzung in Deutschland nicht vor 2024 zu erwarten ist, könnte damit doch das Recht auf Schuldnerberatung für alle einhergehen.
Deutlich wurden aber auch nochmal die vielen Baustellen im Arbeitsfeld: So sind trotz umfassender Änderungen des Pfändungsschutzkontos zum 1. Dezember nach wie vor Stiefkinder- und Patchworkfamilien beim Pfändungsschutz benachteiligt. Die Umsetzung des Online-Zugangs-Gesetzes lässt auf sich warten. Und die Digitalisierung der Beratungsstellen steht erst am Beginn.

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