Stellungnahmen zu den Anträgen: „Garantiert gut versorgt – Medizinische Leistungen in ganz Thüringen sichern“ und „Sicherstellung und Weiterentwicklung regionaler Gesundheitsstrukturen – Initiierung eines Modellprojektes zur Versorgungsplanung“

von Peter Kießling

Die folgenden Ausführungen gliedern sich in einen ersten grundsätzlichen Abschnitt und einen zweiten Abschnitt mit fachlichen Stellungnahmen zu den „LIGA-bezogenen“ Arbeitsfeldern bzw. Punkten aus den Drucksachen.

Abschnitt I - Grundsätzliches

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen begrüßt die zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit den Gesundheitsstrukturen und der Weiterentwicklung medizinischer und pflegerischer Leistungen in Thüringen. Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen steht als Garant für die Daseinsvorsorge vor Ort, ihre Verbände und deren Einrichtungen und Dienste arbeiten tagtäglich an der Herstellung bestmöglicher regionaler Gesundheitsstrukturen sowie medizinischer und pflegerischer Versorgung. Deren stetige Weiterentwicklung steht außer Frage, muss aber auch mit Leistungserbringern und Kostenträgern sowie für Leistungsberechtigte gedacht werden. Weiterhin unterstützen wir den Zugang zu Angeboten für alle Leistungsberechtigten in Thüringen und verweisen in diesem Zusammenhang auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, diese sollte auch und vor allem in den Gesundheits- und Pflegestrukturen Anwendung finden. Die Entwicklung des Pflegebedarfs ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und kaum monokausal herleitbar. Neben der demografischen Entwicklung spielen u.a. die medizinische Versorgung (mithin auch der medizinische Fortschritt), die Lebensgestaltung des Einzelnen (Ernährung, Bewegung, Familienstand, Wohnumfeld) sowie die Versorgungslandschaft (familiäre Unterstützung/Nachbarschaftshilfe, ambulante/teilstationäre und vollstationäre Hilfen), die technische Entwicklung im Kontext von Pflege, medizinischer Versorgung und Kommunikation eine große Rolle.

In der Erarbeitung der Stellungnahme ist neben der Komplexität der Zusammenhänge vor allem auch die notwendige Detailtiefe in der (Weiter)Bearbeitung zu den Themen deutlich geworden. Aus diesem Grund empfehlen wir, bei aller Komplexität der Zusammenhänge, die Themenfelder zu untersetzen, fachlich durch Expert*innen zu erschließen und final in die angesprochenen, komplexen Zusammenhänge wieder zusammenzuführen.

In den Ausführungen innerhalb der Drucksachen wird vielfach auf den Mangel an Verfügbarkeit von medizinischer und pflegerischer Versorgung hingewiesen. Dieser Wahrnehmung können wir vollumfänglich zustimmen. An dieser Stelle möchten wir kritisch anmerken, dass die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen im Kontext der Zusammenarbeit im Thüringer Pflegepakt die Entwicklung und Umsetzung eines regionalen Pflege-Monitorings eingefordert hat, welches politische Entscheidungen auf verlässlicher empirischer Grundlage ermöglicht. Hierdurch könnten in Zukunft gemeinsame Fragestellungen zielführender und transparenter beantwortet werden. Eine Umsetzung ist bislang nicht erfolgt.

Zu Recht gehen die Anträge beider Fraktionen auf die medizinisch-pflegerische Versorgung in der Gesamtheit ein. Aus diesem Grund möchten wir unsere o. g. Forderung nach einem regionalen Pflege-Monitoring auf die sektorenübergreifende Betrachtung erweitern. Um die Situation der Gesundheit und Pflege im Freistaat Thüringen zu untersuchen und zu überprüfen, wie vorhandene Rahmenbedingungen verändert und welche Impulse gegeben werden müssen, um eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung Pflege dauerhaft sicherzustellen, bedarf es einer kontinuierlich jährlich fortzuschreibenden Erhebung und Auswertung valider Daten zur Versorgungssituation. Viele Daten liegen bereits bspw. beim Landesamt für Statistik vor, müssen aber regional aufbereitet werden. Ein regionales Monitoring (sektorenübergreifend) ermöglicht politische Entscheidungen auf verlässlicher empirischer Grundlage (bspw. bezogen auf die Personal- und Ausbildungssituation, regionale Daten zur Pflegebedürftigkeit und Altersstruktur, Entwicklungsperspektiven der Versorgungsbereiche etc.). Nur mit einer sektorenübergreifenden Planung, die auch die Pflege integriert, kann eine bedarfsgerechte Versorgung gelingen.

Aus unserer Sicht gilt es, gemeinsam miteinander Lösungen zu suchen und umzusetzen, statt gegeneinander. Das meint konzertierte Aktionen aller an der Gesundheit und Pflege beteiligter Partner*innen. Ziel ist ein landesweites Bündnis für Gesundheit und Pflege, welches als sachkompetentes Expertengremium, gemeinsam an Empfehlungen zur Umsetzung der gesundheits- und pflegepolitischen Aufgaben arbeitet, diese verständlich kommuniziert und auch in die Fläche bringt.

Abschnitt II – Untersetzung:

a) Zur Drucksache 7/2041

A. Garantiert gut versorgt – Medizinische Leistungen in ganz Thüringen sichern

 

Zu Ziffer 5: Deckung der Bedarfe an Kurzzeitpflege

Wir folgen der Feststellung, dass Kurzzeitpflegeplätze nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung stehen, so dass eine unzureichende Versorgungssituation besteht. Grund für diesen Mangel ist vorrangig die Schwierigkeit, solitäre Kurzzeitpflegeeinrichtungen wirtschaftlich zu betreiben. Dazu trägt bei, dass die Kurzzeitpflegegäste häufig wechseln, meist einen höheren Pflegebedarf aufweisen, die Auslastung schwankt und dass die Leistungen (insbesondere der erhöhte Verwaltungsaufwand) unzureichend vergütet werden. Leistungen der Kurzzeitpflege werden derzeit vorrangig durch sogenannte „eingestreute Kurzzeitpflegeplätze“ in vollstationären Einrichtungen und nur zu einem sehr geringeren Teil durch solitäre Kurzzeitpflegeeinrichtungen erbracht. Zudem werden diese eingestreuten Kurzzeitpflegeplätze zum Teil auch für die Langzeitpflege vergeben, da viele stationäre Pflegeeinrichtungen aufgrund der hohen Nachfrage nach Pflegeplätzen bereits Wartelisten führen müssen.

Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zwischen CDU, CSU und SPD wurde unter Punkt 4 „Gesundheit und Pflege“ festgehalten: […] „Wir werden die Angebote für eine verlässliche Kurzzeitpflege stärken, indem wir eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung sicherstellen.“ […].

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat in 2020 diesbezüglich ein Positionspapier zur Neustrukturierung und Weiterentwicklung der Kurzzeitpflege der Fachöffentlichkeit vorgelegt. Zusammengefasst sieht die BAGFW sowohl für die eingestreuten Kurzzeitpflegeplätze als auch für die solitäre Kurzzeitpflege folgenden Handlungsbedarf, um das Angebot der Kurzzeitpflege zu stärken und der Nachfrage an Kurzzeitpflegeplätzen zu entsprechen:

  • Pflegegradunabhängiger Einheitssatz für die Kurzzeitpflege auf der kalkulatorischen Grundlage des Pflegegrades 4 bei einem Auslastungsgrad von max. 70 Prozent, bezogen auf die Kosten der Pflege, der Unterkunft und Verpflegung, der Investitionskosten als auch der Ausbildungskosten
  • Finanzierung über einen Vergütungszuschlag aus den Mitteln der Pflegeversicherung

Zur Umsetzung der vorgenannten Verbesserungsvorschläge zur Sicherung des Kurzzeitpflegeangebots wurden seitens der BAGFW gesetzliche Änderungsvorschläge vorgelegt. Diese hätten innerhalb des Rahmens des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes – GVWG – Niederschlag finden können. Gleichwohl wurde lediglich der § 88a SGB XI: Wirtschaftlich tragfähige Vergütung der Kurzzeitpflege eingeführt. In der Umsetzung bedeutet dieser allein jedoch, dass auf der Bundesebene Rahmenempfehlungen für wirtschaftlich tragfähige Vergütungen für Kurzzeitpflege von den Vereinbarungspartnern erstellt werden. Diese können Grundlage zur Anpassung der Rahmenverträge gem. § 75 SGB XI auf der Landesebene sein. Es ist positiv zu bewerten, dass der Gesetzgeber bis zur Anpassung der Landesrahmenverträge entsprechend der Bundesrahmenempfehlungen letztere für unmittelbar verbindlich erklärt. Offen bleibt allerdings, wie diese Verbindlichkeit hergestellt werden kann. Zudem ist die zeitliche Dimension zur Erarbeitung derartiger Rahmenempfehlungen auf Bundesebene nicht außer Acht zu lassen.

Im Sinne der Pflegebedürftigen und für deren Angehörige braucht es jetzt Lösungen, die es ermöglichen, ausreichend, wohnortnah, planbar und finanzierbar Angebote – dem Wunsch- und Wahlrecht entsprechend – einzurichten.

Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen im Freistaat Thüringen handelnd für die Landesverbände der gesetzlichen Pflegekassen im Freistaat Thüringen, die Verbände der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Freistaat Thüringen e. V. sowie die Verbände der Landesarbeitsgemeinschaft der privaten Pflegeverbände im Freistaat Thüringen haben auf dieses Defizit schon in 2019 im Rahmen des Thüringer Landespflegeausschusses aufmerksam gemacht und um Prüfung von kurzfristigen Lösungen für den Ausbau von Kurzzeitpflegeplätzen seitens des Landes gebeten. So wurde von den Rahmenvertragspartnern der Vorschlag eingebracht, das Modell Fix+X (analog der Umsetzung in Nordrhein-Westfalen) in Thüringen mit einzelnen Trägern zu erproben. Bislang kam es zu keiner weiteren Umsetzung seitens des Landes.

Nunmehr führen die Rahmenvertragspartner im Rahmen einer Initiative der Thüringer Pflegesatzkommission mittels eines gemeinsam entwickelten anonymisierten Fragebogens im Zeitraum 1. Juli 2021 bis 31. Dezember 2021 eine Erhebung zum aktuellen Stand und zu den Bedarfen in der Kurzzeitpflege durch. Mit der Umfrage soll herausgefunden werden, ob das Angebot von Kurzzeitpflegeplätzen der Nachfrage entspricht. Anfang 2022 wird die Erhebung ausgewertet, so dass nach jetzigem Stand davon auszugehen ist, dass sich ab Februar 2022 ein Unterausschuss der Pflegesatzkommission mit den Ergebnissen der Befragung auseinandersetzt und Maßnahmen zur Verbesserung der Kurzzeitpflege zwischen den Vertragspartnern abgestimmt und umgesetzt werden. Hinzu kommen zahlreiche schon vorliegende Erhebungen und Evaluationen in anderen Bundesländern, die eindeutig den Bedarf nach Kurzzeitpflegeplätzen aufzeigen. So zum Beispiel die vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragte Studie „Überleitungsmanagement und Behandlungspflege in der Kurzzeitpflege“ veröffentlicht in 2019 durch das IGES Institut. Die detaillierte Erfassung der im Rahmen der Entlassungsvorbereitung aufkommenden Problemlagen und Aufgaben sowie die exemplarischen Fallbeschreibungen verdeutlichen die hohen inhaltlichen, kommunikativen und organisatorischen Anforderungen an die mit dem Überleitungsmanagement befassten Pflegefachkräfte in der Kurzzeitpflege.

Aus unserer Sicht bedarf es keiner langfristigen Bedarfserhebung, um modellhaft Lösungen zu erproben. Denn in dieser Fragestellung besteht kein Erkenntnisdefizit. Eine Positionierung des Freistaats Thüringen ist hierfür aus unserer Sicht dringend geboten.

 

Die voran gestellten Ausführungen gelten gleichlautend für Ziffer 11 unter Abschnitt C Garantiert gut versorgt – durch intelligente Vernetzung medizinischer Leistungen.

Ein Förderprogramm ist zu begrüßen, hierzu haben die Verbände der Leistungserbringer und Kostenträger Lösungsvorschläge vorgelegt.

 

Zu Ziffer 7: Gelingende Fachkräftebindung

Es braucht einen Mix an adäquaten Lösungsansätzen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Höhere Löhne sind wichtig, aber nicht die alleinige Lösung. Gerade der betriebliche Arbeitsschutz, die Gesundheitsförderung und das Betriebliche Eingliederungsmanagement für beruflich Pflegende in ihren Einrichtungen und Diensten muss gefördert werden. Diese Umsetzung verursacht Kosten, die dauerhaft nur über die Pflegeentgelte refinanziert werden können. Die Pflegeversicherung ist eben nicht eine Teilkaskoversicherung, sondern im Moment ein System der Teilkostenversicherung. Das heißt, die Pflegekassen leisten pauschale, nach Pflegegraden gestaffelte Zuschüsse zu den Pflegekosten. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wie auch die Investitionskosten sind in voller Höhe selbst zu übernehmen. Der Eigenanteil setzt sich also grundsätzlich zusammen aus dem Eigenbetrag für die Pflege sowie zusätzlich aus den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten. Es fehlt jedoch der politische Mut zu kommunizieren, dass die Pflegeversicherung eben eine finanzielle Eigenbeteiligung vorsieht, die sich jährlich erhöhen wird. Das ist leider vielen Menschen nicht gewahr und auch politisch und medial nicht öffentlichkeitswirksam. Die schlechte Botschaft müssen allein die Einrichtungen und Dienste den Pflegebedürftigen und Angehörigen bei jeder notwendigen Erhöhung überbringen und werden mit der ihnen entgegentretenden Unzufriedheit von der Politik allein gelassen. Ein offener – gesamtgesellschaftlicher - Umgang mit diesem Thema sowie der Hinweis auf dringend notwendige eigene Vorsorgemaßnahmen sind umso mehr nötig, je weniger zukünftige Generationen an Rente erhalten und je mehr eine Vielzahl alter Menschen wenigen jungen Menschen gegenübersteht.

Mit der Einführung der generalisierten Ausbildung und der Kompetenzerweiterung der Pflegekräfte sollte das Land Thüringen neue Ideen für eine flexible Personaleinsatzplanung entwickeln. Diese darf nicht zulasten der Pflegequalität gehen und sollte bundeseinheitliche Instrumente zur Messung des individuellen Pflegebedarfs berücksichtigen. Vielmehr müssen die Spezialisierungen von Anforderungen, Aufgaben und Qualifikationslevels in den Pflegeberufen in neue Konzepte effektiver Personal-, Qualifikations- und/oder Care-Mixes münden.

Die Fördermaßnahmen des Landes müssen schon bei der Ausbildung beginnen. Mit den durch das Pflegeberufegesetz erhöhten Anforderungen braucht es eine bessere bzw. zentrale Koordinierung der praktischen und theoretischen Ausbildung auf Landesebene (Forderung: Einrichtung eines dauerhaften Fachbeirates aus Expert*innen und Praktiker*innen zur Umsetzung der generalistischen Ausbildung). Insbesondere müssen thüringenspezifische Informationsplattformen für Auszubildende aber auch Ausbildungsträger und Pflegeschulen geschaffen werden. Die Ausbildungsträger und Pflegeschulen selbst könnten beispielsweise adäquat durch vier regionale Geschäftsstellen zur Gründung und Begleitung von Ausbildungsverbünden unterstützt werden (Forderung: Aufbau „Thüringer Pflegecampus“).

 

Forderung: Tragfähiges Finanzierungsmodell für Pflegestudierende

 

Das Pflegeberufegesetz regelt erstmalig auch einheitliche Rahmenbedingungen für die primärqualifizierende hochschulische Pflegeausbildung auf Bundesebene, die von den Ländern entsprechend ausgestaltet werden können. Das Pflegeberufegesetz regelt auch die bundeseinheitliche Refinanzierung der Ausbildungskosten über länderspezifische Ausbildungsfonds. Die Pflegeschulen und Träger der praktischen Ausbildung erhalten die Kosten der Pflegeausbildung aus diesem Fonds erstattet. Zusätzlich werden den Trägern der praktischen Ausbildung die Mehrkosten der Ausbildungsvergütungen erstattet. Das gilt jedoch nur für die grundständige Berufsausbildung, nicht für das Pflegestudium. Das heißt: die Refinanzierung der Praxisanleitung für Studierende (10% der Ausbildungszeit von 2.300 Stunden) ist nicht geregelt. Auch ist eine verbindliche Ausbildungsvergütung für die Studierenden über das Pflegeberufegesetz gesetzlich nicht geregelt. Aktuell sieht es aus: Entweder der Arbeitgeber bezahlt selbst eine Ausbildungsvergütung oder der Studierende sucht nach eignen Lösungen (z.B. BAföG, Stipendien oder Studienkredite). Die Refinanzierung der Praxiseinsätze wird aber definitiv nicht über den Ausbildungsfonds erstattet und kann ggf. als gesonderte Kostenposition in die Pflegesatzverhandlung einfließen. Die momentane Regelung animiert natürlich wenig Arbeitgeber*innen, Studierende einzustellen, trotz der Tatsache, dass das PflBG eigentlich bessere Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten ermöglichen will: sowohl für die grundständige Berufsausbildung als auch für das grundständige Studium. Dies ist aus unserer Sicht ein unhaltbarer Zustand, gerade mit Blick auf den schon bestehenden Fachkräftemangel. Studierende des Bachelorstudiengangs Pflege von drei Berliner Hochschulen haben jüngst in einem an die Politik gerichteten offenen Brief ein tragfähiges Finanzierungsmodell für Pflegestudierende gefordert. Hier warnen Sie: „Wenn es nicht eine angemessene Vergütung für die praktische Ausbildung gebe, stände die Akademisierung der Pflege vor dem „Aus“.“ Und dies gilt bundesweit. Die Verbände der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen haben erst kürzlich auf diesen Missstand in der Informationsveranstaltung „Pflegeakademiker am Bett?! - Der primärqualifizierende Pflegestudiengang in Thüringen“ aufmerksam gemacht.

 

Wir möchten an dieser Stelle die Forderung bekräftigen: Wenn Thüringen das Pflegeberufegesetz in Gänze adäquat umsetzen und zum Erfolg führen will, muss ein tragfähiges Finanzierungsmodell auch für den akademischen Pflegestudiengang entwickelt werden.

 

Forderung: Verbesserung der Personalsituation in der Pflege und zur schrittweisen Einführung eines Personalbemessungsverfahrens für vollstationäre Pflegeeinrichtungen durch Umsetzung einer „generalistischen“ Pflegehilfe- und -assistenzausbildung im Rahmen der Novellierung des Thüringer Gesetz über die Helferberufe in der Pflege (Thüringer Pflegehelfergesetz - ThürPflHG -) vom 21. Dezember 2011 in Verbindung mit der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens gem. § 113c SGB XI: Im Sinne der Durchlässigkeit und attraktiver beruflicher Perspektiven bedarf es der Reformierung der einjährigen Pflegehelferausbildung über das Thüringer Pflegehelfergesetz. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, welche Aufgaben und Verantwortung man ausgebildeten Pflegehelfer*innen innerhalb der Ablauforganisation einer Pflegeeinrichtung übertragen und dies ggf. im Fachkraftschlüssel berücksichtigen kann.

Mit der Verabschiedung des GVWG wurde die Umsetzung des wissenschaftlich fundierten Personalbemessungsverfahrens für vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit Korridoren für bundeseinheitliche Personalanhaltswerte je Pflegegrad mit Wirkung zum 1. Juli 2023 gesetzlich festgeschrieben. In der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) wurde vereinbart, dass das BMG im Einvernehmen mit dem BMFSFJ unter Beteiligung der relevanten Akteure eine Roadmap ent-wickelt, in der die notwendigen Umsetzungsschritte für das Personalbemessungsverfahren dargestellt und mit einem Zeitplan versehen werden. Dazu wurden für die am Umsetzungs-prozess Beteiligten unterschiedliche Aufgaben definiert. Für die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens in 2023 spielt die Berufsgruppe der „generalistischen“ Pflegehelfer*innen eine Schlüsselrolle.

In der Roadmap heißt es dazu: „Um den Bedarf an Pflegehelfer*innen mit QN 3, der durch die erste Personalausbaustufe entsteht, zu decken, passen die Länder die Ausbildungskapazitä-ten bedarfsgerecht an. Darüber hinaus werden die Ausbildungskapazitäten in der Pflege ent-sprechend der Erkenntnisse der begleitenden Evaluation angepasst. Die Verbände der Träger der Pflegeeinrichtungen wirken bei ihren Mitgliedern darauf hin, dass betriebliche Ausbildungs-plätze bedarfsgerecht eingerichtet werden. Hierfür können auch die zusätzlichen Refinanzie-rungsmöglichkeiten aus dem Pflegehilfskraftstellen-Programm genutzt werden, sofern es sich um eine berufsbegleitende Ausbildung handelt. Die Länder wirken auf eine Harmonisierung der landesrechtlich geregelten Helfer- und Assistenzausbildungen in der Pflege hin. Darüber hinaus schaffen und unterstützen sie [die Länder] hinreichende Angebote für weitere Maßnah-men der berufsbegleitenden Qualifizierung, auch z. B. durch entsprechend angepasste Aus-bildungsmöglichkeiten in Teilzeit.“

Nur wenn genügend Pflegehelfer*innen in Thüringen vorhanden sind und eine Personal- und Organisationsentwicklung in den Pflegeeinrichtungen erfolgt, kann eine leistungsgerechte und sachgerechte Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens gelingen. Im Land Thüringen müssen hierfür die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit neben den Pflegefachkraftausbildungen auch die qualifizierten Pflegehelfer*innenausbildungen am Aus-bildungsmarkt angeboten und refinanziert werden können. In vielen Bundesländern sind be-reits neue Regelungen verabschiedet. Die von BMFSFJ und BMG an die Länder übermittelten Grundlagen gehen vom Modell einer einjährigen Pflegehilfe- bzw. -assistenz-ausbildung aus. Die einjährige Hilfskraftausbildung habe eine niedrige Eintrittsschwelle, eröffne mit Haupt-schulabschluss den Zugang zur Fachkraftausbildung und sei auf diese vollständig anrechen-bar, was der Durchlässigkeit diene.

Das Land Thüringen ist nun dringend gefordert, sich im Interesse der Langzeitpflege und zur Stärkung der Ausbildung dieser Herausforderung zu stellen und auf Landesebene die rechtli-chen Rahmenbedingungen für eine Legitimation der Ausbildung von „generalistischen“ Pfle-gehelfer*innen zu schaffen. Zudem ergibt sich aus dem Status Quo eine ordnungsrechtliche Hürde: Weder das Thüringer Gesetz über betreute Wohnformen und Teilhabe (ThürWTG), noch die Heimpersonalverordnung enthalten Berufsabschlüsse für staatlich anerkannte ein-jährig „generalistisch“ ausgebildete Pflegehelfer*innen. Folglich können diese Ausbildungsab-schlüsse auch nicht zur Anerkennung als qualifizierte Pflegekräfte führen.

 

Forderung: Um das Pflegekräfte-Reservoir kurzfristig zu erweitern, sollte die Anerkennung weiterer Abschlüsse geprüft sowie die Möglichkeiten zur Qualifizierung in Kooperation mit der Agentur für Arbeit ausgebaut werden: Die Attraktivität und das Image insbesondere der ambulanten und stationären Langzeitpflege hängen nicht nur mit der Bezahlung, sondern auch mit den zugestandenen Aufgaben zusammen, wie die Erfahrung in vielen anderen Ländern belegt. Daher sollte sich das Land Thüringen für eine Stärkung der Kompetenzen einsetzen, bspw. durch Förderung von Modellprojekten (bspw. mithilfe von Landesgesetzen oder entsprechend der Richtlinie nach § 63 Abs. 3c SGB V über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde im Rahmen von Modellvorhaben).

 

Forderung: Weniger Fixierung auf formale Ausbildungsabschlüsse zu Gunsten von fachlichen und menschlichen Kompetenzen, um ausländische Fachkräfte besser zu integrieren: Ein weiterer Weg zur Fachkräftesicherung im Bereich der Pflegeberufe ist die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften und Auszubildenden aus dem Ausland. Dies kann nur unter den Kriterien der fairen Mobilität gelingen. Zudem bedarf der Thüringer Arbeitsmarkt der interkulturellen Öffnung und geplanter Schritte zur Steigerung der Attraktivität des Landes für Einwanderer. Im Fokus stehen hier insbesondere Sprach- und Familienförderung sowie Möglichkeiten zur Förderung interkultureller Öffnungsprozesse in den Einrichtungen. Im Zuge der Umsetzung des Pflegeberufegesetzes muss zeitnah die Chance genutzt werden, die Anerkennungs- und Begleitverfahren für Arbeitskräfte und Auszubildende aus dem Ausland auf den Prüfstand zu stellen und notwendige Anpassungen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist die Forderung unter Abschnitt D Ziffer 12 vollumfänglich zu begrüßen und zu unterstreichen.

 

B. Garantiert gut versorgt – durch die Förderung telemedizinischer Versorgung

 

Die Nutzung von Telemedizin, Robotik und Digitalisierung ermöglicht ohne Zweifel eine Effizienzsteigerung und Erweiterung therapeutischer und pflegerischer Möglichkeiten. Digitale Lösungen tragen u.a. zur Erhöhung der Patientensicherheit bei und können dabei helfen, Schnittstellenprobleme zu überwinden, die bisher zu zusätzlichen Belastungen der Pflegekräfte führen. Gerade für den ländlichen Raum im Freistaat Thüringen bietet die Digitalisierung in Zukunft große Chancen, die Versorgung trotz struktureller Defizite attraktiv zu gestalten. Dazu müssen Pflegeeinrichtungen bevorzugt an die digitale Infrastruktur angebunden werden (Breitbandförderung) und bei der Implementierung von digitalen Leistungen (Telemedizin, digitales Sprechstundenzimmer, Sprachsteuerung etc.) unterstützt werden; dies meint auch die Unterstützung beim Kompetenzerwerb im Umgang mit digitalen Medien. Hierzu sollten die zusätzlichen Mittel des Pflegepersonalstärkungsgesetzes (PpSG) weiterhin intensiv genutzt werden und Thüringen im Rahmen des bereits eingeführten Haushaltstitels zur Förderung der Telemedizin einen stärkeren Fokus auf die Pflege setzen. Thüringen sollte sich auch als Standort der KI-Entwicklung etablieren, um zu erforschen, welche Potenziale intelligente Datenanalysen für eine bessere Pflegequalität (bspw. Medikamentengabe) haben.

Allerdings fehlen bisher gemeinsame ethische Grundsätze und insbesondere ein gemeinsames Zielbild.

An dieser Stelle kann dem Ansatz unter Ziffer 9, Thüringer Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen in der E-Health-Branche zu fördern zwar gefolgt werden, dennoch bedarf es hierzu einer klaren Analyse des vorliegenden Status-Quo in den betreffenden Versorgungsbereichen um auch zielgenau auf Bedarfe und Notwendigkeiten eingehen zu können. Eine schlichte Förderung im Gießkannenprinzip sollte vermieden, stattdessen gemeinsam Kriterien zu Fördermaßnahmen entwickelt werden.

Zur Gestaltung einer guten Digitalisierung in der Gesundheits- und Pflegeversorgung fordern wir die Einrichtung eines Runden Tisches „Digitalisierung in der Gesundheits- und Pflegeversorgung“. Unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Kostenträgern, Leistungserbringern, Betroffenenverbänden und einschlägigen Fachleuten sollten ethische, technische und qualitative Aspekte für eine gute Digitalisierung im Pflegebereich beraten und Empfehlungen hierzu ausgesprochen werden.

 

C. Garantiert gut versorgt - durch intelligente Vernetzung medizinischer Leistungen

 

Zu Ziffer 8: Um dem Gedanken „ambulant vor stationär“ gerade im ländlichen Raum Rechnung zu tragen, braucht es wohnortnahe Angebote. Das finanziell ausgestattete Landesprogramm Solidarisches Zusammenleben der Generationen sollte um kommunal verantwortete, familienentlastende Maßnahmen erweitert werden, etwa durch Konzepte wie „Dorfkümmerer“ im Unstrut-Hainich-Kreis, die vor Ort als niedrigschwellige Ansprechpersonen zur Verfügung stehen, Netzwerke schaffen sowie beratend und präventiv Hilfestellung leisten können. Entscheidend ist aus unserer Sicht auch, dass die Konzepte vor Ort auf Nachhaltigkeit und mit einer Langfristperspektive ausgelegt sind und nicht um jede neue Jahresscheibe um ihre Finanzierung und Berücksichtigung in der Mittelvergabe bangen müssen. Verlässlichkeit sehen wir als einen großen Erfolgsfaktor vor Ort.

Mehrere Bundesländer unterstützen die Kommunen bei der pflegerischen Versorgung. Analog dazu sollte das Land ein kommunales Pflegeförderprogramm auflegen, das insbesondere den Aufbau kommunaler Planungszentren und –kompetenzen, übergemeindliche Pflegesteuerung ermöglicht. Wichtig ist dabei, dass neue Pflegeangebote regional eingebettet und an Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken etc. angebunden werden.

 

b.) Zur Drucksache 7/2056

Punkt II / 1. (Drucksache 2056)

„Von der Bedarfsplanung zur Versorgungsplanung.“

Diese Überschrift impliziert, dass es in dem Projekt keine/weniger Bedarfsplanung in den Regionen gibt, sondern vielmehr auf Basis der Versorgungsdaten von Institutionen geplant werden soll. Eine Versorgungsplanung aus institutioneller Sicht halten wir für wenig zielführend, da es vielmehr um den Ausbau vorhandener Ressourcen und den Abgleich zwischen Bedarfs- und Versorgungsplanung geht. Aus diesem Grund möchten wir an dieser Stelle auf die aufgebauten Planungsstrukturen (Armutspräventionsstrategien vor Ort, Präventionsnetzwerke, …) der Regionen in den vergangenen Jahren und die integrierten Planungsansätze hinweisen. Versorgungsdaten wie benannt, lassen sich durch weitere Bereiche mindestens ergänzen und auch validieren.

Wichtig ist eine gemeinsame Strategie (Verweis auf das TMASGFF) und eine gemeinsame Grundlage vor Ort, wer plant auf welcher Basis. Parallelstrukturen sollten in diesem Fall dringend vermieden werden.

 

Punkt II/ 2. (Drucksache 2056)

„Vom Versorgungsbedarf zur Versorgungsstruktur.“

Wir unterstützen die Entwicklung einer verlässlichen Versorgungsstruktur für Bürger*innen vor Ort und befürworten dabei gleichermaßen die erwähnte Planungssicherheit für die versorgende Struktur. Sicher werden Einrichtungen und Dienste vor Ort bereit sein, bei einem entsprechenden Projekt mitzuarbeiten.

Weiterhin unterstützt die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen die inhaltlichen Ausführungen der Stellungnahme der Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen e.V. zu den o.a. Drucksachen.

Zurück