Schuldneratlas 2020 veröffentlicht: Überschuldungswelle nur aufgeschoben

von Peter Kießling

Symbolbild: Umrisskarte von Deutschland mit Geldtextur - Quelle Pixabay.com
Symbolbild: Umrisskarte von Deutschland mit Geldtextur

Zum zweiten Mal in Folge sinkt die Zahl der Überschuldeten in Deutschland laut dem aktuellen Schuldneratlas der Creditreform. Während allerdings die Fälle mit harten Negativmerkmalen weiter rückläufig sind, nehmen die Fälle mit Zahlungsstörungen weiter zu. Die Zahl überschuldeter Männer nimmt stärker ab, als die der Frauen, weshalb die Differenz zwischen den Geschlechtern kleiner wird.

In Thüringen haben sich die Zahlen ebenfalls positiv entwickelt, wobei die Überschuldungsquote von 9,21% auf 9,14% sinkt. Thüringen ist damit hinter Bayern und Baden-Württemberg das Bundesland mit der geringsten Überschuldungsquote. Erfurt und Weimar verzeichnen trotz ungebrochener Nachfrage in den Schuldnerberatungsstellen sogar den stärksten Rückgang unter allen Landkreisen und kreisfreien Städten seit 2004 (rund 4%).

Allerdings ziehen nicht erst im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie dunkle Wolken am Horizont auf: Die Überschuldung bei den Über-50-Jährigen nimmt weiter zu, besonders stark aber bei den Personen über 70 Jahre (+23%). Im Gegensatz zu den jüngeren Betroffenen, ist die Schuldenlast für diese fast 500.000 Personen deutlich größer, während die Aussichten, die Schulden mit einer sich positiven Einkommensentwicklung abbauen zu können, verschwindend gering sind.

Dass jedoch unabhängig vom Alter eine Überschuldungswelle anrollt, von der die unteren Einkommensgruppen besonders betroffen sind, zeichnet sich immer deutlicher ab. Ein Ende der Krisenlage ist nicht absehbar, auch wenn bereits ein Impfstoff angekündigt ist. Viele haben bereits ihren Arbeitsplatz verloren, andere sind nach wie vor in Kurzarbeit und insbesondere Soloselbstständige sind am Rande ihrer Existenz, da langsam aber sicher Ersparnisse aufgebraucht und neue Einkommensquellen nicht in Sicht sind. Die vielen staatlichen Programme zur Unterstützung haben dabei nur aufschiebende Wirkung.

Den kompletten Schuldneratlas finden Sie hier.

Die wichtigsten Fakten im Überblick

Tabellarische Übersicht der wesentlichen Inhalte des Schuldneratlasses
Überschuldete insgesamt 6,85 Mio. Über-18-Jährige
2,69 Mio. Frauen
4,17 Mio. Männer
3,42 Mio. Haushalte
Überschuldungsquote 9,87%
Schuldenvolumen 189 Mrd. Euro
Schuldenhöhe pro Person 27.600 Euro im Durchschnitt

Exkurs zu Überschuldung in den USA und Großbritannien

Symbolbild: Mund-Nasen-Schutzmaske und Dollarnoten - Quelle pixabay.com
Symbolbild: Mund-Nasen-Schutzmaske und Dollarnoten

Wie auch in Deutschland sind in den USA die ärmeren Teile der Bevölkerung, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, besonders hart von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen. Viele haben ihren Arbeitsplatz verloren, sind von Hunger bedroht oder stehen vor der Zwangsräumung. Der Immobilienmarkt steht vor einer erneuten massiven Krise, nachdem die Überschuldung in den USA in den letzten Jahren stark abgenommen hatte. Für 2020 wird eine Überschuldungsquote von 21,7% (58 Mio. Personen) vorausgesagt, ein neuer Höchststand.

Und auch in Großbritannien häufen sich die Probleme: Hier haben sich sehr viel mehr Menschen mit COVID-19 infiziert bzw. sind daran gestorben als in anderen Ländern der EU. Hinzu kommt ein Brexit-Chaos, das ebenfalls schwerste wirtschaftliche Folgen nach sich zieht. Ein Weg aus der Krise wird damit umso schwerer. Bereits jetzt werden bis Ende 2020 10,5 Mio. Überschuldete erwartet, etwa 19,6% der Erwachsenen.

 

Exkurs zu Mangelernährung und Schulden

Symbolbild: Mangelhafte Ernährung
Symbolbild: Mangelhafte Ernährung

Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland berichtet über die nur allzu oft übersehenen Probleme und die Unterstützung durch die rund 950 Tafeln in Deutschland. Die Armut, die sich bei den Tafeln offenbart, setzt sich aus Ernährungsunsicherheit, finanziellem Mangel und fehlender Teilhabe sowie unzureichender sozialer Begegnung zusammen. Bundesweit nutzen rund 1,65 Mio. Menschen das Angebot der Tafeln, das weit über die Ausgabe von Lebensmitteln hinausgeht. Besonders bedenklich ist die Zunahme der Zahl von Senior*innen und Familien mit Kindern. Die geringen Chancen sozial aufzusteigen, bedeuten für die aktuell zu den Tafeln kommenden 500.000 Kinder, dass sie wohl ihr Leben lang auf die Tafeln angewiesen sein werden.

Auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind schwerwiegend: Ein Teil der ehrenamtlich Tätigen gehört zur Risikogruppe und kann nur noch eingeschränkt unterstützen. Während neue, durch Kurzarbeit, Jobverlust u.Ä. gebeutelte Hilfesuchende die Tafeln erreichen, bleiben andere Betroffene aus den Risikogruppen fern, wodurch sich ihre finanzielle Situation zuspitzen dürfte.

Weitere Informationen zur Tafel Deutschland finden Sie hier.

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